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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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nach Grundbesitzerweise der Scheidung nicht günstig gesinnt war und mit dem Ehebruch auskam, erschien Agathes Entschluß manchen älteren Personen geradezu in jenem aus Willenskraft und Erbaulichkeit gemischten Doppelschein des höheren Lebens, den Graf Leinsdorf, der den Geschwistern besonders wohlwollte, einmal mit den Worten analysierte: «Da werden am Theater immer so grauslige Leidenschaften gespielt; aber an so etwas sollte sich das Burgtheater lieber ein Beispiel nehmen!»
    Diotima, in deren Gegenwart das geschah, erwiderte: «Manche Leute sagen, einer Mode folgend, der Mensch sei gut; aber wenn man, so wie ich jetzt durch meine Studien, die Irrungen und Wirrungen des Geschlechtslebens kennengelernt hat, weiß man, wie selten solche Beispiele sind!» Wollte sie das von Sr. Erlaucht gespendete Lob einschränken oder unterstreichen; Sie hatte Ulrich noch nicht verziehen, was sie, seit er ihr nichts von der bevorstehenden Ankunft seiner Schwester verraten hatte, seinen Mangel an Vertrauen nannte; aber sie war stolz auf den Erfolg, an dem sie teilnahm, und das mischte sich in ihrer Antwort.
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28
    Zu viel Heiterkeit
    Agathe nutzte die Vorteile, die sich ihr in der Gesellschaft darboten, mit natürlichem Geschick aus, und ihre sichere Haltung in einem höchst anmaßenden Kreis gefiel ihrem Bruder. Die Jahre, wo sie die Gattin eines Mittelschullehrers in der Provinz gewesen war, schienen von ihr abgefallen zu sein und hatten keine Spur hinterlassen. Das Ergebnis faßte Ulrich aber vorderhand achselzuckend in die Worte zusammen: «Dem hohen Adel gefällt es, daß man uns die zusammengewachsenen Zwillinge nennt: er hat immer mehr Interesse für Menagerien gehabt als beispielsweise für Kunst.»
    In stillschweigendem Übereinkommen behandelten sie alles, was geschah, bloß als ein Zwischenspiel. Es wäre notwendig gewesen, im Zustand des Haushalts vieles zu ändern oder neu einzurichten, worüber sie sich gleich am ersten Tage klar gewesen waren; aber sie taten es nicht, denn sie scheuten die Wiederholung einer Aussprache, deren Grenzen nicht abzusehen waren. Ulrich, der sein Schlafzimmer Agathe abgetreten hatte, hatte sich im Schrankzimmer eingerichtet, durch das Bad von seiner Schwester getrennt, und den größten Teil seiner Schränke hatte er noch nachträglich abgetreten. Sich deshalb bemitleiden zu lassen, lehnte er mit dem Hinweis auf den Rost des heiligen Laurentius ab; aber Agathe kam gar nicht ernsthaft auf den Einfall, daß sie das Junggesellenleben ihres Bruders gestört haben könnte, weil er ihr versicherte, daß er sehr glücklich sei, und weil sie sich von den Graden des Glücks, in denen er sich davor befunden haben konnte, nur eine sehr ungewisse Vorstellung machte. Ihr gefiel jetzt dieses Haus mit seiner unbürgerlichen Art der Bewohnung, mit seinem nutzlosen Aufwand an Schmuck- und Nebenräumen um die wenigen brauchbaren und nun überfüllten Zimmer; es hatte etwas von der umständlichen Höflichkeit vergangener Zeit, die wehrlos gegen die genußvoll flegelhaft mit ihr umspringende gegenwärtige ist, aber manchmal war der stumme Einspruch der schönen Räume gegen die eingebrochene Unordnung auch traurig, wie es gerissene und verwirrte Saiten über einem schwungvoll geschnitzten Schallkörper sind. Agathe sah dann, daß ihr Bruder dieses von der Straße abgeschiedene Haus gar nicht ohne Teilnahme und Verständnis gewählt habe, obwohl er das glauben machen wolle, und aus den alten Wandungen kam eine Sprache der Leidenschaft, die weder ganz stumm, noch ganz hörbar war. Aber weder sie noch Ulrich bekannte sich zu etwas anderem als dem Vergnügen am Ungeordneten. Sie lebten unbequem, ließen seit Agathes Einbruch das Essen aus dem Hotel holen und gewannen allem eine etwas übermäßige Heiterkeit ab, wie sie sich bei einem Picknick einstellt, wenn man auf grüner Erde schlechter ißt, als man es bei Tisch nötig hätte.
    Auch an der rechten Bedienung fehlte es unter diesen Umständen. Dem wohlerfahrenen Diener, den Ulrich, als er das Haus bezog, nur für kurze Dauer aufgenommen hatte, – denn das war ein alter Mann, der sich schon zur Ruhe setzen wollte und nur irgendetwas abwartete, das noch geregelt werden mußte – durfte nicht zuviel zugemutet werden, und Ulrich nahm ihn so wenig wie möglich in Anspruch; eine Kammerzofe aber mußte er selbst abgeben, denn der Raum, worin ein ordentliches Mädchen untergebracht werden konnte, befand sich noch ebenso bloß im Zustand des Vorhabens wie alles

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