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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Anwesenheit des Kriegsministers vorgefallen ist» erzählte er. «Versteh mich recht, gegen die schon fixierten Genies, von denen wir bis jetzt gesprochen haben, möchte ich ja gar nichts einwenden; höchstens, daß es mir übertrieben erscheint, wie man sie verehrt. Aber auf all dieses andere Gesindel habe ich es scharf!» Und nach einem kurzen, aber anscheinend bitteren Augenblick überwand er sich zu der Frage: «Sag mir aufrichtig, ist Genialität denn wirklich ein solcher Wert?»
    Ulrich mußte lächeln, und unerachtet dessen, was er zuvor gesagt hatte, hob er jetzt die ungeheure – er nannte sie sogar die feenglatte – Erlösung hervor, als die man die Lösung einer jeden Aufgabe empfange, an der sich schon die begabtesten, ja bedeutendsten Fachleute vergeblich abgemüht hätten. Genie sei der einzige unbedingte menschliche Wert, es sei der menschliche Wert schlechthin, sagte er. Ohne Einmischung der Genialität gäbe es nicht einmal die Tiergruppe der höheren Affen. In seinem Eifer rühmte er also heftig sogar die Genialität, die er später bloß die des Grades und der Geschicklichkeit nennen sollte, insofern als sie es nicht auch im Grundwesen sei.
    Stumm nickte gesättigt. «Ich weiß: die Erfindung des Feuers und des Rades, des Pulvers und der Buchdruckerkunst, und so weiter! Kurz gesagt: vom Einbaum zum Einstein!» Doch nachdem er sein Verständnis bezeugt hatte, fuhr er fort: «Jetzt werde ich dir aber auch etwas sagen, und zwar ist es aus den Gesprächen bei Diotima: ‹Vom Sophokles zum Feuermaul!› Denn das hat dort einmal ganz im Ernst so ein junger Aff ausgerufen!»
    «Was ist dir denn an Sophokles nicht recht?»
    «Ah!! Von dem weiß ich doch nichts. Aber Feuermaul! Und da sagst du, Genie wäre ein unbedingter Wert!»
    «Die Berührung des Genies ist der einzige Augenblick, ‹wo der häßliche und verstockte Götterschüler Mensch schön und aufrichtig ist›» steigerte sich Ulrich. «Ich habe aber nicht gesagt, daß sich leicht entscheiden läßt, was Genie sei, und was bloß Einbildung. Ich sage bloß, wo immer wirklich ein neuer Wert ins menschliche Spiel kommt, steht Genialität dahinter!»
    «Wie kann man denn wissen, ob etwas ‹wirklich ein neuer Wert› ist?»
    Ulrich zögerte lächelnd.
    «Und dann überhaupt, ob der Wert auch wirklich etwas wert ist!» fügte Stumm mit bekümmerter Neugierde hinzu.
    «Man spürt es oft auf den ersten Blick» meinte Ulrich.
    «Ich habe mir sagen lassen, daß man sich auch schon auf den ersten Blick geirrt haben soll!» –
    Der Wortwechsel stockte. Stumm bereitete vielleicht eine gründliche neue Frage vor.
    Ulrich sagte: «Du hörst die ersten Takte von Bach oder Mozart; du liest eine Seite von Goethe oder Corneille; und weißt, daß du die Genialität berührt hast!»
    «Bei Mozart und Goethe vielleicht, weil ich es da schon weiß; aber nicht bei einem Unbekannten!» verwahrte sich der General.
    «Glaubst du, daß es dich auch als jungen Menschen nicht elektrisiert hätte? Der Enthusiasmus der Jugend ist doch an sich selbst mit dem Genialen verwandt!»
    «Warum ‹an sich selbst›? Aber, wenn ich durchaus antworten muß: Eine Operndiva hat mich wahrscheinlich begeistern können. Und auch für Alexander den Großen, Cäsar und Napoleon habe ich einmal geschwärmt. Hingegen an sich selbst ist mir irgendein Schriftsteller oder Tonmaler immer ganz gleichgültig gewesen!»
    Ulrich trat den Rückzug an, wiewohl er fühlte, eine rechte Sache bloß schief angefaßt zu haben. «Ich habe sagen wollen, daß der sich geistig entwickelnde junge Mensch das Geniale errät wie ein Zugvogel die Richtung. Aber wahrscheinlich wäre das eine Verwechslung. Denn er ist dem Bedeutenden nur in beschränktestem Umfang zugänglich. Er hat keinen besonderen Sinn für das Bedeutende, sondern nur einen für das, was ihn aufrührt. Er sucht nicht einmal das Geniale, sondern sucht sich selbst und das, was geeignet ist, den Umrissen seiner Vorurteile Gehalt zu geben. Was ihn anspricht,» erklärte er «ist seinesgleichen, in aller Undeutlichkeit, die dem genügt. Es ist ungefähr das, was er selbst sein zu können glaubt, und bedeutet für seine Erziehung das gleiche wie der Spiegel, worin er sich gerne, aber durchaus nicht bloß aus Eitelkeit betrachtet. Darum ist auch nichts weniger zu erwarten, als daß gerade geniale Werke diese Wirkung auf ihn ausübten; gewöhnlich sind es die zeitgemäßen, und unter ihnen mehr die an Stimmungen rührenden als die geistig klar geformten,

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