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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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kletterte den Abhang eines endlos hohen Berges empor, auf dessen anderer Seite sich ein Abgrund auftat. Der ›Testudo‹ stieg immer weiter, während im Reaktor die violette Flamme des Plasmas den Magnetketten mit Geheul zu entfliehen suchte. Gleich, jetzt gleich würde es passieren …
    Polessow riss den Blick vom Periskop und sah flüchtig auf die Instrumente. Wenn ihre Angaben stimmten, musste der Reaktor jeden Augenblick in die Luft fliegen. Doch auf die Geräte war eben keinerlei Verlass. Die äußeren Einflüsse, die sich allmählich durch den Dreifachschutz des Panzers vorarbeiteten, hatten ihnen den Garaus gemacht. Der Panzer erreichte den Gipfel und begann sogleich mit dem Abstieg. Polessow fühlte, wie seine Hände abstarben; die Nadeln tanzten jetzt ganz nahe am Herzen. Sehr bald würde eine von ihnen zustechen – dann war Schluss. Und bald würde auch das Plasma an die Wände des Reaktors lecken – dann war ebenfalls Schluss. Neben sich sah Polessow Berkut, der willenlos wie eine Puppe in seinen Riemen baumelte …
    Als Berkut wieder zu sich kam, fiel sein Blick auf den erleuchteten Bildschirm, der aussah wie ein Fenster, das von einem dunklen Zimmer auf eine Waldlichtung hinausführt. Der Nebel hatte sich gelichtet. Der Bildschirm funktionierte ausgezeichnet: Man sah die nassen Sträucher und das nasse Gras unter dem Regen und auch den Regen selbst, der ganz gerade und in großen Tropfen herabfiel. Der Himmel war nicht zu sehen. Auf der Lichtung erschien ein gewaltiges Tier und blieb stehen, es starrte den »Testudo« an. Berkut begriff nicht sofort, dass es ein Elch war. Das Tier hatte den Körper eines Elchs, doch nicht dessen stolze Haltung; die Beine waren verkrüppelt, und der Kopf wurde durch die ungeheure Last der geweihartigen Auswüchse schier zu Boden gedrückt. Elche besitzen an und für sich ein sehr schweres Geweih, doch bei dem hier wuchs geradezu ein Baum auf dem Kopf, und der Hals hielt dieser Last von mehreren Zentnern nicht stand.
    »Was ist das?«, fragte Iwan Iwanowitsch, und seine Stimme klang ziemlich schwach bei diesen Worten. Berkut begriff, dass sein Kollege ebenfalls ohnmächtig gewesen sein musste.
    »Ein Elch«, antwortete er und rief: »Pjotr Wladimirowitsch!«
    »Zur Stelle, Genosse Berkut!«, meldete sich Polessow prompt, auch er eigenartig unsicher.
    »Wie es scheint, sind wir durchgekommen?«
    »Sieht ganz so aus«, bejahte Polessow, und dann: »Soll das etwa ein Elch sein?«
    »Jawohl – ein Elch von der anderen Seite«, ahmte Iwan Iwanowitsch die Stimme des Biologen nach, was ihm vortrefflich gelang.
    »Wie fühlen Sie sich, Kollegen?«, erkundigte sich Berkut.
    »Ausgezeichnet«, sagte Iwan Iwanowitsch.
    »Mir tut die Backe weh«, meinte Polessow. »Aber dafür sind die Geräte wieder in Ordnung.«
    Der Elch war schwerfällig an sie herangekommen und stand ihnen nun gegenüber, witternd und mit bebenden Nüstern.
    »Er hat gar keine Augen«, sagte plötzlich Polessow mit erschreckend ruhiger Stimme.
    Tatsächlich: Anstelle der Augen schimmerte eine feuchte weißliche Schimmelschicht.
    »Verjagen Sie ihn, Pjotr Wladimirowitsch«, flüsterte Berkut. »Bitte!«
    Polessow schaltete die Sirene ein. Der Elch blieb erst witternd stehen, machte dann kehrt und trottete langsam, die Beine krampfhaft zuckend eins vor das andere setzend, davon. Sein Gang war quälend unsicher, ganz so, als würde er statt eines Schritts jedes Mal nur einen halben tun. Sein Kopf war zu Boden gedrückt, die eingefallenen Flanken glänzten feucht.
    »Wie eine Schildkröte«, murmelte Iwan Iwanowitsch.
    Die Männer sahen hinter dem Elch her, der sich durch das hohe nasse Gras davonschleppte. Schließlich war das Tier hinter den Bäumen verschwunden. Um abzulenken, sagte Berkut: »Pjotr Wladimirowitsch, Sie sind einfach ein Teufelskerl.«
    »Warum?«, fragte Polessow verwundert.
    »Sie haben uns aus dem Kessel herausgeholt …«
    »Kleinigkeit«, erwiderte Polessow ruhig.
    »Nein, im Ernst: Ich weiß wirklich nicht, wie Sie das geschafft haben. Ich zum Beispiel muss bewusstlos dagelegen haben wie ein unschuldiges Mädchen.«
    Polessow schwieg. Er startete den Motor und ließ die Erkundungskyber hinaus. Die Kyber sprangen aus dem Fahrzeug, sahen sich nach allen Seiten um und drängten eilig vorwärts. Jetzt fürchteten sie sich nicht mehr. Der »Testudo« rollte dröhnend hinter ihnen her.

4
    Am späten Morgen schleuderte der »Testudo« den letzten Erdhaufen beiseite, der noch im Weg stand, und

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