Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band
jeden Preis und möglichst schnell wieder in die Welt der vollkommenen und süßen Illusionen zurückzukehren.
Die Sache kam allerdings gleich zu Beginn ins Stocken. Den Titel »Die gierigen Dinge des Jahrhunderts« fanden wir anscheinend schon Ende 1963, und diesen Vers von Andrej Wosnessenski (»O gierige Dinge des Jahrhunderts! Die Seele wurde mit Veto belegt.«) 4 wählten wir als neues Motto, doch der Aufbau der Handlung wollte partout nicht gelingen.
21. 1. 64 – Boris: »Ich denke viel über die ›Gierigen Dinge‹ nach. In unserem Ansatz ist etwas, was mich abstößt wie vom ›Kraken‹. Wahrscheinlich ist es der strikte Realismus der Situation. Er hat eine Menge Nachteile. Man kann nicht alles schreiben, was einem gerade in den Sinn kommt. Die Unsicherheit, ob wir den Stoff gut genug kennen. Die Beschränktheit des Bildes bei dieser Umsetzung des Sujets. Du kannst schimpfen, aber je länger ich nachdenke, umso mehr neige ich dazu, etwas in der Art des ›Gottes‹ 5 zu machen: eine fremde Welt, andere Menschen, ein breit angelegtes Panorama, viele Handlungsstränge, aktionsreichere Handlung, weniger Längen, die Ideen und Probleme stärker konzentriert. Ich habe neulich sogar noch einmal diesen Plan durchgelesen, wo Benny Durow auf den schrecklichen Planeten der Spießer gerät. Das hat was. Denk drüber nach und überzeug mich vom Gegenteil …«
Das Sujet von Benny Durow auf dem Planeten der Spießer ist inzwischen völlig in Vergessenheit geraten und offensichtlich grundsätzlich nicht zu rekonstruieren. Der oben erwähnte »Krake« allerdings ist ein Roman, mit dem sich die Strugatzkis jahrelang abgemüht haben; sie haben ihn bald aus der einen, bald aus der anderen Richtung in Angriff genommen, mehrere Dutzend Seiten geschrieben (größtenteils Arkadi allein), ohne ihn jemals zu Ende bringen zu können. Und meines Erachtens eben wegen des »strikten Realismus der Situation«. In jenem Roman wird in ein Forschungsinstitut der Gegenwart ein Riesenkrake gebracht, von dem sich später herausstellt, dass er ins Bewusstsein der Menschen eindringen und sie in kalte Egoisten ohne jede Moral verwandeln kann. Eigentlich war das ein guter, vielversprechender Einfall, doch er erlaubte keine richtige Entfaltung: Die Strugatzkis hatten damals ihr Grundprinzip noch nicht formuliert – »Man muss entweder über etwas schreiben, was man gut kennt, oder über etwas, was niemand kennt« –, doch instinktiv befolgten sie es schon. In einer glaubhaft konstruierten, gut durchdachten Welt mit der nötigen Vielzahl von Realien fühlten sie sich freier als in einer strikt realistischen, nach der Natur gezeichneten Welt.
Die Antwort von Arkadi auf den obigen Brief ist nicht erhalten, wohl aber der nächste Brief von Boris, in dem er wieder seine Zweifel auszudrücken versucht.
27. 1. 64 – Boris: »Es geht, mein lieber Arkadi, nicht um andere Planeten, die mir selber zum Halse heraushängen. Es geht um die Beschränktheit des Einfalls. […] Es geht darum, dass der von uns erdachte Apparat nicht erlaubt, das Problem des Spießertums aus vielfältigen Blickwinkeln zu betrachten. Dieser Apparat ist im Grunde nichts anderes als eine Art Droge, eine sehr starke vielleicht, aber eben doch nur eine Droge. Das Problem des Spießertums wird dabei irgendwie von einem ganz anderen verdrängt: welches Leben man leben soll, ein wirkliches oder ein eingebildetes. Das ist ein interessantes Problem, aber nicht das, was mich bewegt. Und dich ja auch nicht. Die Schwachstelle der Idee ist ebendieser Apparat. Halluzinationen und elektronische Onanie. Ich glaube, das ist nicht das Richtige. Wir werden also eine Menge reden und nachdenken müssen. Zum Schreiben werden wir anscheinend nicht so bald kommen. Erst einmal werden wir uns lange und anödend streiten. Es ist alles so schwierig …«
Tatsächlich begannen wir schon Anfang Februar, den Roman zu schreiben. Und zwar gleich mit der sozusagen endgültigen Version: ein Kurort in einem nicht näher bestimmten Land – eine satte, helle, reiche, aber äußerst unglückselige Welt. Das alles scheint sich nach zwei, drei Tagen Diskussion ergeben zu haben. Die Welt war entworfen, die Dekorationen standen, und die Handlung kam sofort in Gang.
Die Rohfassung wurde in zwei Etappen geschrieben – die erste Hälfte Anfang Februar, die zweite im März 1964. Ein gutes halbes Jahr ließen wir das Rohmanuskript »ablagern«, im November aber machten wir auf einen Schlag die Reinschrift daraus. Die
Weitere Kostenlose Bücher