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Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band

Titel: Gesammelte Werke 5: Vier Romane in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Strugatzki , Arkadi Strugatzki
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ihm?«
    »Auf jeden Fall bis zum Morgen. Wenn Sie noch einmal anrufen, schalte ich das Telefon ab!«
    »Vielen Dank«, sagte ich. »Bleiben Sie ruhig bis zum Morgen bei ihm. Ich werde Sie nicht mehr behelligen.«
    Ich hängte ein. Nachdenklich saß ich eine Weile in dem bequemen, weichen Sessel vor dem großen Tisch. Dann zog ich den Sleg aus der Tasche und legte ihn vor mich hin. Ein unauffälliges glänzendes Röhrchen, harmlos, wie ein gewöhnliches Radiobauelement. Dergleichen lässt sich millionenfach herstellen. Es ist billig und leicht zu transportieren.
    »Was haben Sie da?«, fragte Len dicht an meinem Ohr. Er stand neben mir.
    »Kennst du das nicht?«, fragte ich.
    »Doch, das ist aus einem Empfänger«, sagte er. »In meinem ist auch so ein Ding. Es geht dauernd kaputt.«
    Ich holte meinen Empfänger hervor, nahm den Überlagerer heraus und legte ihn neben den Sleg. Der Überlagerer sah wie ein Sleg aus, war aber keiner.
    »Nein, das ist doch was anderes«, gab Len zu. »Jedenfalls habe ich so was auch schon gesehen.«
    »Was hast du gesehen?«
    »So was, was Sie da haben.« Er runzelte plötzlich die Stirn.
    »Ist es dir eingefallen?«, fragte ich.
    »Nein«, antwortete er finster. »Gar nichts ist mir eingefallen.«
    »Na schön«, sagte ich, nahm den Sleg und setzte ihn statt des Überlagerers in den Empfänger ein.
    Len ergriff meine Hand. »Tun Sie das nicht«, bat er.
    »Warum nicht?«
    Er gab keine Antwort. Gespannt blickte er auf den Empfänger.
    »Hast du Angst?«, fragte ich.
    »Ich habe keine Angst, wie kommen Sie darauf …«
    »Schau dich mal im Spiegel an«, sagte ich und steckte den Empfänger in die Tasche. »Du siehst aus, als hättest du Angst um mich.«
    »Um Sie?«, wunderte er sich.
    »Klar, um mich. Doch wohl nicht um dich … Zwar hast du Angst vor diesen … diesen nekrotischen Erscheinungen …«
    Er wandte den Blick ab. »Wie kommen Sie darauf?«, fragte er. »Das ist bloß ein Spiel.«
    Ich schnaubte verächtlich. »Solche Spiele kenne ich! Nur eins weiß ich nicht: Wie kann es heutzutage nekrotische Erscheinungen geben?«
    Er blickte scheu um sich und wich einen Schritt zurück. »Ich gehe«, sagte er.
    »Nicht doch«, hielt ich ihn zurück. »Lass uns zu Ende reden, wo wir schon einmal angefangen haben. Wie Männer. Von diesen nekrotischen Erscheinungen verstehe ich auch einiges, was denkst denn du!«
    »Was verstehen Sie davon?« Er war schon an der Tür und sprach sehr leise.
    »Mehr als du«, sagte ich streng. »Aber ich denke nicht daran, es so laut auszuposaunen, dass das ganze Haus mithört. Komm her, wenn du reden willst. Ich bin ja schließlich keine nekrotische Erscheinung … Komm her zu mir und setz dich.«
    Zögernd schaute er mich von unten herauf an. Alles, was er befürchtete, alles, worauf er hoffte, erschien auf seinem Gesicht und verschwand wieder. Schließlich sagte er:
    »Ich mache erst die Tür zu.«
    Er lief in den Salon, schloss die Tür zur Diele, kam zurück, schloss die Tür zum Salon und trat langsam näher. Die Hände steckten in den Taschen, sein Gesicht war blass, die abstehenden Ohren rot und kalt.
    »Dummkopf«, sagte ich, nachdem ich ihn zu mir gezogen und zwischen meine Knie gestellt hatte. »Es war einmal ein kleiner Junge, der so verschüchtert war, dass seine kleinen Hosen selbst am Strand nicht trockneten, und seine Ohren waren vor Angst so kalt, als legte er sie zur Nacht in den Kühlschrank. Dieser Junge zitterte andauernd, und er zitterte so heftig, dass er, als er groß war, Korkenzieherbeine hatte und seine Haut aussah wie die eines gerupften Gänserichs.«
    Ich hoffte, er werde wenigstens einmal lächeln, doch er hörte nur ernst zu und fragte: »Und wovor fürchtete er sich?«
    »Er hatte einen älteren Bruder, der war ein netter Kerl, trank aber gern über den Durst. Und wie das oft so ist: Der betrunkene Bruder hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem nüchternen. Er sah dann immer sehr wild aus. Und wenn er besonders viel getrunken hatte, sah er aus wie ein Toter. Und der kleine Junge …«
    Len lächelte verächtlich. »Das war aber was zum Fürchten! Es ist genau umgekehrt: Wenn sie getrunken haben, sind sie nett.«
    »Wer – sie?«, fragte ich. »Deine Mutter? Wusi?«
    »Nun ja. Wenn Mama morgens aufsteht, ist sie immer böse. Dann trinkt sie einen Wermut, noch einen, und dann geht’s. Und gegen Abend ist sie die Güte selbst, weil es bald Nacht wird.«
    »Und in der Nacht?«
    »In der Nacht kommt dieser widerliche Kerl«,

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