Gesammelte Werke 6
das gemünzt? Das ist doch auf uns gemünzt! Auf unser Blut! Unser kostbares Blut! Oder?« Er sah sich wild nach allen Seiten um. »Das Biest zerquetsche ich mit meinem Fingernagel! Nachts kann man sich vor ihnen nicht retten, und jetzt rücken sie einem sogar schon am helllichten Tage auf die Pelle. Diese Quälgeister!« Und er begann sich erbittert zu kratzen.
Quasselstrippe erschrak, hielt sich aber weiterhin tapfer – auch wenn er sich schon mal unauffällig nach einer passenden Ritze umsah. Im Saal verbreitete sich ein durchdringender Geruch nach teurem Kognak.
»Diese Blutsauger!«, krächzte Chlebowwodow, sprang auf und stürzte nach vorn.
Mir stockte der Atem, und Edik griff nach meinem Arm – auch er war erschrocken. Quasselstrippe duckte sich ängstlich. Chlebowwodow aber stürmte, die Hände an den Leib gepresst, am Demonstrationstisch vorbei, riss die Tür auf und verschwand. Man hörte seine Absätze gegen die Treppenstufen knallen. Quasselstrippe wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und ließ kraftlos die Fühler hängen.
»Hrrm«, murmelte Lawr Fedotowitsch kläglich. »Gibt es weitere Wortmeldungen?«
»Ja, ich bitte ums Wort«, sagte Farfurkis, und ich wusste: Jetzt geht’s los. »Die Erklärung des Bürgers Quasselstrippe hat mich zutiefst beeindruckt. Genauer gesagt, ich bin empört. Und das nicht nur, weil der Bürger Quasselstrippe die Geschichte der Menschheit fälschlicherweise als die Leidensgeschichte hervorragender Persönlichkeiten interpretiert hat. Auch seine absolut unkritischen Äußerungen über die eigene Person mag der Redner mit seinem Gewissen ausmachen. Aber dieser Vorschlag, seine Idee eines Bündnisses … Allein der Gedanke hat für mich etwas Beleidigendes und Anstößiges. Wofür halten Sie uns, Bürger Quasselstrippe? Oder handelt es sich um eine vorsätzliche Beleidigung? Ich für meine Person neige dazu, sie als solche aufzufassen! Mehr noch: Soeben habe ich die Unterlagen der vorangegangenen Sitzung in dieser Sache durchgesehen und mich leider davon überzeugen müssen, dass dort der meiner Ansicht nach unabdingbare Schiedsspruch fehlt. Das, Genossen, ist unser Fehler, unser Versäumnis, das wir so schnell wie möglich wiedergutmachen sollten. Woran denke ich dabei? Ich denke dabei an jene simple und unbestreitbare Tatsache, dass wir in der Person des Bürgers Quasselstrippe einen typischen sprechenden Parasiten vor uns haben, das heißt einen notorischen Faulpelz, der keiner geregelten Arbeit nachgeht und sich seinen Lebensunterhalt auf eine verabscheuungswürdige Art beschafft, die man schlankweg als kriminell bezeichnen kann.«
In diesem Augenblick kehrte der ziemlich mitgenommene Chlebowwodow zurück. Als er an Quasselstrippe vorbeiging, drohte er ihm mit der Faust und murmelte: »He, du schwanzloser, sechsbeiniger Köter!« Quasselstrippe zog nur den Kopf ein. Er hatte nun endlich verstanden, dass seine Chancen gleich null waren. »Sascha«, flüsterte Edik mir pa nisch vor Angst zu. »Sascha, lass dir was einfallen.« Ich suchte f ieberhaft nach einem Ausweg, Farfurkis aber fuhr fort:
»Beleidigung der Menschheit, Beleidigung der federführenden Instanz, typische Arbeitsscheu, die hinter Gitter gehört – ist das nicht ein bisschen viel, Genossen? Legen wir hier nicht Schwäche, Willenlosigkeit, bourgeoisen Liberalismus und abstrakten Humanismus an den Tag? Ich weiß nicht, wie meine verehrten Genossen darüber denken und welche Entscheidung wir in dieser Sache fällen werden, aber als ein von Natur aus gutmütiger, wenn auch prinzipientreuer Mensch gestatte ich mir, Sie, Bürger Quasselstrippe, zu warnen. Die Tatsache, dass Sie sprechen, genauer gesagt, daherschwatzen können, mag sich eine Zeit lang hemmend auf unsere Beziehungen auswirken. Aber nehmen Sie sich in Acht! Überspannen Sie den Bogen nicht!«
»Da fackeln wir gar nicht lange!«, krächzte Chlebowwodow. »Ich werde dem Parasiten gleich mit einem Streichholz …« Und er klopfte seine Taschen ab.
Quasselstrippe war völlig verstört. Und Edik nicht minder. Mir aber wollte und wollte kein Ausweg einfallen.
»Nein, nein, Genosse Chlebowwodow«, sagte Farfurkis mit angewiderter Miene. »Ich bin gegen ungesetzliche Maßnahmen. Was soll diese Lynchjustiz? Wir sind doch hier nicht in Texas. Man kann alles gesetzlich regeln. Vor allem sollten wir, wenn Lawr Fedotowitsch nichts dagegen hat, den Bürger Quasselstrippe als unerklärtes und demzufolge in unsere Kompetenz fallendes Phänomen
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