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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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mein Bier und bemerkte, dass der Bucklige mich anstarrte; über seinen breiten roten Mund huschte ein Lächeln, das ich liebenswürdig genannt hätte, wäre es nicht so zaghaft gewesen. Ich dachte mir schon, dass er jeden Augenblick ein Gespräch mit mir anknüpfen würde. Und ich behielt recht.
    »Entschuldigen Sie, mir wurde geraten, mich an Sie zu wenden.«
    »An mich?«
    »Ja, an Sie.«
    »Aha«, sagte ich. »Und wer hat Ihnen das geraten?«
    »Na, der dort …« Bereitwillig blickte er sich um und reckte den Hals, als wollte er über die Köpfe hinwegschauen. »Merk würdig, gerade saß er noch da … Wo ist er denn jetzt?«
    Ich blickte ihn an. Der Bursche war von oben bis unten schmuddelig. Unter den Ärmeln seines beschmierten grauen Pullovers schauten schmutzige Manschetten hervor, die zu einem Hemd gehörten, dessen Kragen speckig und verdreckt war, und selbst die Hände mit den langen Fingern waren lange nicht gewaschen worden, genau wie die welligen, goldblonden Haare und das bleiche, abgezehrte Gesicht mit den weißblonden Stoppeln an Wangen und Kinn. Der Kerl roch wie ein Hühnerhof, sauer und nach Mist. Ein seltsamer Typ: für einen Alkoholiker zu ansehnlich und für einen »anständigen« Menschen zu heruntergekommen.
    »Er ist weg.« Seine Stimme klang schuldbewusst. »Na, Gott mit ihm … Wissen Sie, er hat mir versichert, Sie könnten mich zumindest verstehen, selbst wenn Sie mir nicht glauben.«
    »Dann schießen Sie los«, seufzte ich.
    »Hier!« Er schob mir über den Tisch seine Mappe zu und gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich sie aufschlagen sollte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich entschlossen. »Fremde Manuskripte lese ich nicht. Wenden Sie sich …«
    »Das ist kein Manuskript«, unterbrach er mich rasch. »Jedenfalls nicht so eins, wie Sie denken …«
    »Trotzdem«, beharrte ich.
    »Nein, bitte … Es wird Sie interessieren!« Und als er sah, dass ich keine Anstalten machte, die Mappe auch nur zu berühren, öffnete er sie selbst.
    Darin lagen Noten.
    »Hören Sie …«, sagte ich.
    Doch er hörte nicht. Über den Tisch gebeugt, versuchte er mir mit gesenkter Stimme sein Anliegen klarzumachen; dabei gestikulierte er mit seiner rechten Hand wie ein Redner und umwedelte mich mit diesem Mischmief nach Hühnerhof und Bierfass.
    Sein Anliegen bestand darin, mir für nur fünf Rubel den alleinigen, unteilbaren Besitz an der Partitur der Posaunen des Jüngsten Gerichts anzubieten. Er selbst hatte das Original in die moderne Notenschrift übertragen. Woher er die Partitur hatte? Das sei eine lange Geschichte, die sich zudem schwer in allgemein verständlicher Sprache darlegen ließ. Er war … wie sollte er das nur ausdrücken … sagen wir, ein gefallener Engel. Hier unten auf der Erde hatte er sich ohne Mittel für seinen Lebensunterhalt wiedergefunden, nur mit dem, was er bei sich trug. Eine Arbeit aufzunehmen war praktisch unmöglich, weil er ja keinerlei Papiere besaß. Einsamkeit … zu nichts nütze … perspektivlos … Fünf Rubel nur, war das denn so teuer? Gut, dann eben drei, obwohl ihm befohlen war, nicht ohne einen Fünfer zurückzukehren.
    Ich hatte mir schon oft mehr oder weniger rührselige Geschichten von verlorenen Eisenbahnfahrkarten, gestohlenen Pässen oder ausgebrannten Wohnungen anhören müssen. Sie erweckten längst kein Mitgefühl mehr in mir, eher Abscheu. Ich pflegte schweigend ein Zwanzigkopekenstück in die mir entgegengestreckte Hand zu legen und mich vom Ort des Gesprächs zu entfernen, so schnell ich konnte. Die Geschichte jedoch, die der goldblonde Bucklige mir vorgetragen hatte, erschien mir, professionell gesehen, wunder schön. Dieser schmuddelige gefallene Engel hatte Talent! Sein Einfall hätte selbst H. G. Wells Ehre gemacht. Das Schicksal des Fünfers war entschieden, daran bestand kein Zweifel. Aber ich wollte auch noch wissen, wie strapazierfähig die Geschichte war. Genauer gesagt, was sie für Dimensionen hatte.
    Ich zog die Noten zu mir herüber und sah sie mir an. Noch nie hatte ich etwas von diesen Haken und Punkten verstanden. Gut. Sie behaupten also, wenn man diese Melodie spielt, vielleicht auf einem Friedhof …
    Ja, natürlich. Aber tun Sie’s nicht. Es wäre zu grausam …
    Für wen?
    Für die Toten. Ist doch klar! Sie würden sie dazu verdammen, Tausende und Abertausende von Jahren ohne Zufluchtsstätte um unseren Planeten herumzuirren. Und außerdem, denken Sie an sich! Wären Sie bereit für so ein Schauspiel?
    Diese

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