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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkady Strugatsky
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Messer richtig anzusetzen. Unterdessen kam Diana aus der Dusche und raschelte hinter seinem Rücken mit ihren Kleidern. Ihre Miene war hart und entschlossen, als zöge sie in den Kampf, dabei blieb sie jedoch völlig ruhig.
    … Die Kinder aber zogen als endlose graue Kolonne über ebenso graue, ausgewaschene Straßen. Sie stolperten, rutsch ten aus, stürzten im strömenden Regen und zogen gebeugt und bis auf die Haut durchnässt weiter, ärmliche, aufgeweichte Bündel in den blau gefrorenen Händen. Immer weiter ging es. Klein waren sie, wehrlos und wussten von nichts, sie weinten, schwiegen und blickten immer wieder zurück, hielten einander an Händen und Gürteln und zogen dahin. An beiden Straßenseiten marschierten finstere, schwarze Gestalten, die an der Stelle eines Gesichts eine schwarze Binde trugen, und unter der Binde schauten gnadenlos und kalt ihre unmenschlichen Augen hervor. Ihre Hände steck ten in schwarzen Handschuhen, hielten MPis, und der Regen strömte auf den brünierten Stahl, Tropfen rollten zuckend darüber … Unsinn, dachte Viktor, das ist etwas ganz anderes, das hat nichts mit jetzt zu tun, ich habe das gesehen, aber das ist schon sehr lange her, nein, das hier ist etwas ganz anderes.
    … Sie zogen freudig aus der Stadt, und der Regen war ihr Freund, sie tappten mit ihren warmen, bloßen Füßen fröhlich durch die Pfützen, sie plapperten und sangen und schauten nicht zurück, weil sie das, was hinter ihnen lag, längst vergessen hatten, weil es für sie nur eine Zukunft gab, weil sie ihre im Morgengrauen keuchende, schnaufende Stadt nicht mehr erinnerten, diese Ansammlung von Wanzennestern, diese Brutstätte kleinlicher Leidenschaften und bescheidener Wünsche, die mit ungeheuerlichen Verbrechen schwanger ging und unaufhörlich neue Verbrechen und verbrecherische Ideen gebar wie eine Ameisenkönigin, die ununterbrochen Eier legt. Sie zogen plappernd und schwatzend dahin und verschwanden im Nebel, während wir noch betrunken in abgestandener Luft nach Atem rangen und von grässlichen Albträumen heimgesucht wurden – wie sie sie nie gesehen hatten und auch niemals sehen würden.
    Viktor zog sich gerade, auf einem Bein hüpfend, die Hosen an, als die Scheiben klirrten und ein lautes Dröhnen ins Zimmer drang. Teddy stürzte Hals über Kopf ans Fenster, aber draußen regnete es noch immer. Die Straße war menschenleer und nass, und nur ein einsamer Fahrradfahrer kam vorbei – ein durchnässter, angestrengt strampelnder Segeltuchsack. Das Klirren der Scheiben und das tiefe, fast wehmütig klingende Dröhnen dauerten an, und eine Minute später gesellten sich abgerissene, klagende Sirenentöne dazu.
    »Gehen wir«, sagte Diana. Sie hatte bereits den Regenmantel übergezogen.
    »Nein, warte«, bat Teddy. »Viktor, hast du eine Waffe? Irgendeine! Eine Pistole oder MPi?«
    Viktor antwortete nicht, griff nach seinem Regenmantel, und zu dritt stürmten sie die Treppe zu der bereits völlig leeren Hotelhalle hinunter – kein Pförtner, kein Portier waren mehr zu sehen. Das Hotel war wie ausgestorben, nur Dr. Quadriga saß noch im Restaurant an einem Tisch, drehte erstaunt den Kopf hin und her und wartete offenbar schon lange auf sein Frühstück. Sie liefen auf die Straße, stiegen in Dianas Lastwagen und zwängten sich zu dritt ins Fahrerhaus. Diana setzte sich ans Lenkrad und fuhr los. Sie schwieg. Viktor rauchte und versuchte sich zu sammeln, während Teddy noch immer halblaut die schlimmsten Flüche ausstieß; deren Bedeutung kannte nicht einmal Viktor, denn sie enthielten Worte, die nur Teddy geläufig waren – Heimkind und Zögling der Hafenslums, Rauschgifthändler, Rausschmeißer im Bordell, Soldat im Leichenbergungskommando, Bandit und Marodeur und zu guter Letzt Barkeeper, Barkeeper und noch mal Barkeeper.
    In der Stadt waren kaum Menschen zu sehen, und Diana hielt nur einmal an der Ecke Sonnenstraße an, um ein hilfloses Ehepaar aufzuladen. Das tiefe Dröhnen des Luftschutzalarms und das schrille Kreischen der Werksirenen brachen nicht ab, und in diesem Kreuzfeuer technischen Johlens über der menschenleeren Stadt lag etwas Apokalyptisches. Man bekam Beklemmungen, wollte fliehen, sich verstecken oder um sich schießen, und selbst die »Brüder im Geiste« im Stadion jagten dem Leder ohne die übliche Begeisterung nach, ja, einige von ihnen sahen sich mit offenem Mund nach allen Seiten um, so als versuchten sie zu begreifen, was vor sich ging.
    Auf der Chaussee außerhalb der Stadt

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