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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Erschütterung, mit der ich nichts von allem, was ich jemals erlebte, vergleichen könnte, eine Erschütterung, die in mir die Vorstellung erzeugte – falls ich überhaupt einen Gedanken zu fassen imstande war –, dass die Grundfesten des Erdballs auseinanderstürzen wollten und der Tag allgemeiner Auflösung gekommen sei.
Einundzwanzigstes Kapitel
    Sobald ich über meine Sinne zu gebieten vermochte, fand ich mich halb erstickt in vollkommener Finsternis unter einer Unmenge losen Erdreichs, das von allen Seiten über mich herkollerte und mich vollends zu begraben drohte. Das Entsetzliche dieses Gedankens trieb mich zur Abwehr; ich mühte mich, wieder auf die Füße zu kommen, und endlich gelang es mir auch. Dann blieb ich einige Augenblicke unbeweglich, indem ich festzustellen versuchte, wo ich denn wäre und was geschehen sei. Jetzt vernahm ich dicht an meinem Ohr ein tiefes Stöhnen und gleich darauf hörte ich Peters’ Stimme rufen: »Pym, um Gottes willen, kommen Sie mir zu Hilfe!« Ich kletterte ein paar Schritte nach vorn und fiel alsbald über Kopf und Schultern meines Gefährten. Herabgestürzte Erdmassen hatten ihn bis zum Gürtel begraben, und er trachtete vergebens, sich von ihrer Umarmung zu befreien. Ich riss die Last mit aller Kraft von ihm herunter, und endlich gelang es mir, ihn frei zu machen.
    Sobald wir uns von unserem Schrecken und unserer Überraschung genügend erholt hatten, um uns mit voller Vernunft aussprechen zu können, kamen wir beide zu dem Schluss, dass die Wände der Seitenkluft eingestürzt wären, und zwar, wie wir meinten, infolge einer unterirdischen Erschütterung oder ihrer eigenen Schwere, und dass wir lebendig begraben und wahrscheinlich rettungslos verloren seien. Wir gaben uns lange Zeit der tiefsten Todesangst und Verzweiflung hin. Wer nicht in ähnlicher Lage gewesen ist, kann sich keinen Begriff von unseren Leiden machen. Von allen Zufällen, die des Menschen Leben bedrohen, gibt es nichts Entsetzlicheres: Die Schwärze der Finsternis, die das Opfer umringt, der fürchterliche Druck, der auf den Lungen lastet, die erstickenden Ausdünstungen des feuchten Erdreichs, dazu die grauenhafte Erkenntnis, dass man sich jenseits der fernsten Grenzen aller Hoffnung befindet und das Los der Toten teilt, alles das erfüllt das arme Herz mit einem Grausen, einer Fülle würgender Angst, die nicht zu ertragen, niemals auszudenken ist.
    Endlich schlug Peters vor, wir sollten den Umfang unseres Unglücks feststellen, die Wände unseres Kerkers befühlen, es könne doch möglich sein, dass noch irgendwo eine rettende Öffnung zu finden sei. Dieser Hoffnungsschimmer belebte mich, ich raffte mich auf und trachtete. mir einen Weg durch das lockere Erdreich zu bahnen. Kaum war ich einen Schritt vorgedrungen, da erblickte ich einen Lichtschein, und ich war nunmehr überzeugt, dass wir wenigstens nicht ersticken würden. Wir fassten Mut und ermunterten einander nach Kräften. Wir kletterten über einen Haufen Schutt, und nachdem wir dieses Hindernis überwunden hatten, näherten wir uns mit leichterer Mühe dem Tageslicht, und unsere Lungen atmeten ein klein wenig freier. Bald konnten wir die Gegenstände rings um uns wahrnehmen. Wir befanden uns an der Stelle, wo die Spalte nach links hin umbog. Noch ein kurzer Kampf mit den Erdschollen, und wir hatten die Biegung erreicht. Alsbald zeigte sich zu unserer unsagbaren Freude eine Art Bruch oder Riss, der sich weit aufwärts zog, meist in einem Winkel von fünfundvierzig Grad, oft um vieles steiler. Wir konnten die Öffnung noch nicht ganz übersehen; aber aus dem breit einfließenden Licht schlossen wir, dass die Höhe, falls wir sie überhaupt erreichten, einen Zugang ins Freie gewähren müsse.
    Ich entsann mich, dass unser drei die Nebenkluft betreten hatten und dass unser Gefährte Allen noch fehlte; wir beschlossen, sogleich umzukehren und nach ihm zu suchen. Nach langem Suchen, unter steter Gefährdung durch neue Einstürze, rief Peters endlich, er halte Allens Fuß in der Hand, aber sein Körper sei so tief unter dem Erdrutsch begraben, dass an Hilfe nicht zu denken sei. Das war leider wahr, und ohne Zweifel war der Arme längst nicht mehr am Leben. Betrübten Herzens verließen wir ihn und arbeiteten uns wieder zur Biegung vor.
    Die Breite des Risses war so gering, dass wir nach einigen vergeblichen Versuchen, aufzusteigen, aufs Neue zu verzweifeln begannen. Ich sagte schon, dass die Bergkette aus einem weichen, an Speckstein

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