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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Julien Bonnet, Professor, Literarhistoriker an der Sorbonne.
    *
    Auf der Kuppe seines Hügels saß André Tornerre im hohen Büschelgras und blickte auf den trägen Lauf der Rhône, die dich dickflüssig durch das Land wälzte, als habe die Glut der Sonne das Wasser zu einem langsam fließenden Sirup verwandelt. Neben ihm hockte in seinem weißleinenen Sommeranzug Julien Bonnet. Beide hatten die Hände um die Knie ihrer angezogenen Beine geschlungen. Interessiert betrachtete der um vieles Ältere aus Paris das verschlossene Gesicht des Sechzehnjährigen und war sich nicht schlüssig, ob er den Jungen noch duzen oder schon siezen sollte. Dann entschied er sich.
    »Monsieur Tergnier – Gastwirt, Schmied und Winzer in einer Person – hat mir gesagt, wo Sie zu finden sind. Er sprach mit mir über Sie.«
    »O jeh!«
    »Ich habe mich aber auch noch, ehe ich mich auf den Weg hierherauf machte, mit Ihren Eltern über Sie unterhalten.«
    »Und warum das, wenn ich fragen darf?«
    »Ich wollte mir, ehe ich losstürmte, ein Bild von Ihnen machen.«
    »Losstürmte?« André grinste keck. »Warum so stürmisch?«
    »Aus Neugierde.«
    »Neugierde auf mich?«
    »Ja.«
    »Das muß doch einen Grund haben. Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Was wollen Sie von mir?«
    »Alles der Reihe nach: Mein Name ist Julien Bonnet; ich komme aus Paris; mich interessieren Ihre Beziehungen zu den Troubadouren.«
    »Zu den Troubadouren?« fuhr André hoch. »Woher wissen Sie davon?«
    »Ich sagte Ihnen doch, daß ich mit Monsieur Tergnier gesprochen habe und …«
    »Der kann sich darüber kein Urteil erlauben!« unterbrach André brüsk den Herrn aus Paris, von dessen Fakultät er noch nichts wußte.
    Bonnet nickte lächelnd. »Das scheint mir auch so. Ich konnte mich aber auch noch auf etwas anderes stützen …«
    »Auf was?«
    Der Literarhistoriker ließ sich Zeit mit der Antwort. Obwohl er hier nichts in der Hand hielt, um es zu lesen, setzte er die Brille ab, putzte sie, setzte sie wieder auf. Und dann zitierte er: »Laßt die Hörner fröhlich klingen …«
    André Tornerre sprang auf.
    »… seht, mein Roß stampft schon im Sand«, fuhr Bonnet fort.
    »Also doch!« preßte André zwischen seinen Zähnen hervor.
    Bonnet erschrak vor dem wilden Zorn, der in den Augen des Jungen loderte.
    Aus dem Tal drangen zwei, drei Schüsse aus der Flinte eines Rebhuhnjägers herauf, den seine Leidenschaft der Hitze die Stirn bieten ließ.
    »Ihre Empörung«, sagte Professor Bonnet vorsichtig, »läßt mich vermuten, daß Sie glauben, Opfer eines Verrats geworden zu sein.«
    »Was denn sonst!«
    »Sie mutmaßen, der Schwur, den Sie sich haben ablegen lassen, sei gebrochen worden?«
    »Was denn sonst!« wiederholte André.
    »Sie irren sich.«
    »Ach was!«
    »Doch, doch, Sie müssen mir glauben, Sie verdächtigen Jeanette Tergnier zu Unrecht, die …«
    »Schon die Tatsache, daß Sie ihren Namen kennen, beweist mir das Gegenteil«, unterbrach André den Herrn aus Paris.
    »Sie sollten mich ausreden lassen«, erklärte Bonnet geduldig, »es war folgendermaßen …«
    Und er berichtete. Die Wahrheit konnte natürlich André nicht ganz und gar besänftigen. Zum Teil bereitete es ihm zwar Genugtuung, Jeanette rehabilitiert zu sehen, doch den Einbruch in ihren Schrank kreidete er ihrem Vater bös an. Er sprach von einer ›Riesenschweinerei des alten Diktators …‹
    Auch Bonnet kam nicht ungeschoren davon. André, der frühreife, scheute sich nicht, ihm ins Gesicht zu sagen: »Sie sollten sich schämen! Sie haben mitgemacht! Wer hat jetzt eigentlich das Blatt – Tergnier oder Sie?«
    »Keiner. Es liegt wieder im Schrank. Jeanette wird überhaupt nichts merken.«
    »So? Und dabei, glauben Sie, wird es bleiben?«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich ihr Bescheid sagen werde.«
    »Ich hoffe, Sie sind klug genug, das nicht zu tun.«
    »Wenn Sie das hoffen, überschätzen Sie meine Klugheit.«
    André war wütend, und die Art und Weise, in der er diesen Streit mit einem Vertreter der älteren Generation, die er wieder einmal ausnahmslos verachtete, führte, zeigte, wie weit er seiner eigenen Generation voraus war.
    »Hören Sie«, sagte Bonnet, nun doch etwas die Geduld verlierend, »machen Sie, was Sie wollen. Wichtig ist hier etwas ganz anderes: Woher haben Sie diesen Text?«
    André schwieg. Er setzte sich aber wieder hin; erst jetzt tat er das wieder; vorher hatte er die ganze Zeit eher dazu geneigt, abzuhauen und sich um den alten Mann hier nicht mehr zu

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