Gesang des Drachen
Gespenstische Stille lag über dem Land.
»Spyridon«, flüsterte er. »Wo bist du?«
Dann sank er auf die Knie und fiel zur Seite.
9.
Der Verräter
Gegen Abend wurde es kühl. Peddyr saß am Ufer und sah auf den Fluss hinaus, die Arme um seine Brust geschlungen, um sich warm zu halten. Sein Magen knurrte, die Beeren und Früchte, die er gesammelt hatte, hielten nicht lange vor. Wäre Marcas da gewesen, hätten sie zusammen Fische gefangen, aber er war allein. Duibhin und Ciar waren zu ihren Hütten gegangen, und Marcas blieb verschwunden. Er machte sich Sorgen um ihn.
Peddyr seufzte leise. Ein Teil von ihm wollte, dass er aufstand und Feuerholz sammelte, ein anderer wies ihn an, sitzen zu bleiben und zu leiden. Den Fehler, den er begangen hatte, würde er dadurch nicht ungeschehen machen, aber hungrig zu sein und zu frieren erschien ihm wie eine angemessene, wenn auch selbst auferlegte Strafe.
Marcas war noch nicht einmal in Gefahr, dachte er. Ich habe mich wie ein Narr übertölpeln lassen.
Dass er das nicht hatte wissen können, tröstete ihn nur wenig, selbst Marcas' ehrliche Dankbarkeit half nicht. Seit Stunden ging er die Begegnung mit Maurice in seinen Gedanken durch und fragte sich, was er hätte anders machen können. In einer Version lachte er den Menschen einfach aus und ließ ihn stehen, in einer anderen sprang er ihm auf die Brust und grub die Krallen in sein Herz. Doch am Ende kehrten seine Gedanken zu dem zurück, was wirklich geschehen war.
Peddyr rutschte ein Stück zurück, lehnte sich an einen Felsen und schloss die Augen. Die Sonne hatte den Stein den ganzen Tag lang angewärmt. Sich an ihn zu lehnen fühlte sich besser an, als Peddyr recht war, aber er blieb sitzen und lauschte dem Plätschern des Wassers.
Als er die Augen öffnete, glitzerte Sonnenlicht auf dem Fluss. Peddyr blinzelte überrascht, dann stand er auf. Er fühlte sich steif, seine Hände waren so kalt, dass er sie erst einmal unter die Achselhöhlen schob.
»Marcas?«, rief er dann.
Nur das Rauschen des Flusses antwortete ihm. Peddyr trat in die warme Morgensonne und wartete. Zweimal rief er noch nach seinem Freund, dann wandte er sich ab. Das Magenknurren, das ihn in den Schlaf begleitet hatte, kehrte lauter und unangenehmer zurück.
Ich muss etwas essen. Speichel sammelte sich in seinem Mund, als er an die Rumbols seiner Mutter dachte. Die würde sie jetzt wohl für die Gläubigen zubereiten und nicht mehr für ihn, ihren verfluchten, undankbaren Sohn. Zu Duibhin oder Ciar zu gehen, wagte er nicht. Er wusste nicht einmal mehr, ob sie noch seine Freunde waren.
Es kam ihm so vor, als stünde er in einem dunklen Gang, dessen Türen er selbst zugeschlagen hatte.
Er schüttelte den Gedanken ab und verließ das Ufer. Der Weg, der an der Siedlung der Menschen vorbeiführte, endete am Höhlenlabyrinth. Dort befand sich der Gemeinschaftssaal, in dem vor allem Flüchtlinge, die nicht einmal ihr Kochgeschirr hatten retten können, aßen. Peddyr bezweifelte, dass sie ihr Essen mit ihm teilen würden, schließlich hielten sie ihn für unrein, aber vielleicht fand er ein paar Reste, bevor sie ihn verjagten.
Das Klirren von Waffen riss ihn aus seinen Gedanken. Die Siedlung mit ihrem großen Platz, den die Hütten einrahmten, lag links von ihm. Er hatte sie eigentlich umgehen wollen, doch nun wurde er neugierig.
Und er war nicht der Einzige, das bemerkte er, als er im Schatten einer Hütte stehen blieb und einen vorsichtigen Blick auf den Platz warf. Trotz der frühen Stunde hatten sich zahlreiche Menschen und Elfen dort versammelt. Die meisten waren Zuschauer wie er. Sie bildeten einen Kreis um mehrere bewaffnete Gruppen, die den Umgang mit Schwert und Schild übten. Peddyr schätzte, dass es weit über einhundert waren. Erschrocken bemerkte er, dass jede Gruppe von Iolair ausgebildet wurde. Auch unter den Zuschauern waren einige Krieger.
Bricius laufen die Leute weg, dachte er.
Die Iolair bellten Befehle, die Gläubigen befolgten sie mit einer Präzision, die Peddyr daran zweifeln ließ, dass sie zum ersten Mal übten. Sie mussten sich zuvor bereits heimlich getroffen haben. Was er auf dem Platz vor sich sah, war eine Vorführung, keine Ausbildung.
Als er Cedric entdeckte, glitt er unwillkürlich tiefer in die Schatten. Der Sucher lehnte mit der Schulter an einer Hüttenwand und schüttelte ab und zu den Kopf. Er wirkte fast schon angewidert. Peddyr spürte einen Stich im Magen, als er an seinen Verrat dachte. Cedrics
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