Gesang des Drachen
Etwas anderes befand sich an diesem Ort.
Der Leib der Spinne zog sich zusammen. Sie duckte sich zu einem neuen Angriff.
Naburo hob die Hand. »Lass das! Auch wenn ich das Feuer liebe, schicke ich dir Wasser, bis du ertrinkst!« In seiner Hand glitzerte es feucht.
Ihr Kreischen wurde lauter. Blind vor Zorn warf sie sich auf ihn. Erneut schickte er das Wasser, während er ihr zugleich auswich. Der Zauber zerrte an seinen Kräften.
Die Grasspinne wand sich in dunkelblauen Tropfen. Ihre zehn Beine standen in verschiedenen Winkeln ab, nur sechs davon berührten den Boden. Der Körper verdichtete sich, erhärtete unter dem Nass. Die einzelnen Grashalme verschmolzen wie glasierter Sand. Naburo war sicher, sie nun verletzen und sogar töten zu können. Ihre magische Ausstrahlung ließ nach.
Langsam hob er das verbliebene Schwert. Er zögerte. Sie war hässlich – abgrundtief hässlich – und unschuldig. Ihr Körper war eine Hülle, benutzt von einer fremden Präsenz. Und Naburo wusste, wo sich diese Präsenz befand. Er wirbelte das Schwert herum, bohrte die Spitze in den scharlachroten Baumstumpf, aus dem grüne Flüssigkeit emporspritzte. Ein Kreischen schwoll an, das die Grasspinne alle Beine von sich strecken ließ. Sie wand sich in Agonie auf dem grasigen Boden.
Naburo ertrug den schrillen Ton mit Fassung. »Gefällt dir nicht, du Pilzelf, was?«, fragte er das Wesen, das hinter diesem Angriff steckte. »Damit kannst du nicht umgehen. Stahl kommt von Eisen.«
Der halb versteinerte Pilzelf im Baumstamm gab keine Antwort.
»Warum lachst du nicht? Das war mein bester Scherz. Natürlich ist die Klinge nicht aus Eisen, sie ist ma...«
»Widerwärtiger Feuerteufel!« keifte der Pilzelf. »Wirfst Wasser auf mein armes Geschöpf! Stichst in meinen Leib! Verflucht seist du!«
Naburo drehte unbarmherzig das Schwert, um die Wunde zu vergrößern. »Wer ist hier ein widerwärtiger, alter Giftpilz? Wie lange hockst du schon da, wirst zu Stein und greifst Reisende an? Du bist ein Elend! Benutzt unschuldige Tiere wie diese arme Kreatur.« Er sah zu der zuckenden Spinne. »Lass von ihr ab!«
»Nein!« Grünes Leuchten stieg auf. »Sie gehört mir!«
Die Grasspinne sprang auf die Beine. Sie zischte drohend.
Naburo riss am Schwertgriff, aber es gelang ihm nicht, die gebogene Klinge aus dem Pilzelfen zu ziehen. Der Elf klammerte sich im Sterben an die Waffe und hielt sie in seinem Leib fest.
Mit einem Fluch ließ Naburo los und zog seinen Dolch. Obwohl er sich mit einer Geschwindigkeit bewegte, die seinen Arm fast vor den eigenen Augen verschwimmen ließ, war es beinahe zu spät. Die Angreiferin warf sich ihm mit dem Kopf voraus entgegen.
Naburo wich zur Seite aus, doch die Spinne drehte sich in der Bewegung und bekam ihn mit der Klaue eines Beins zu fassen. Sie verkrallte sich in seiner Kleidung. Ehe Naburos Dolch hinabfuhr und ihren Kopf seitlich in zwei Teile spaltete, biss sie zu.
Die Spinne knickte ein. Ihr Körper sackte in sich zusammen. Aber ihr Gift jagte mit Übelkeit erregender Geschwindigkeit durch Naburos Blut.
Der Pilzelf hörte zu kreischen auf und lachte gehässig. »Stirb, dummer, langer Elf! Verreck an ihrem Gift! Nichts kann dich noch retten!«
Naburo sah an sich hinab. Der vordere Teil des Spinnenkopfes hing an seiner Brust. Die spitzen Zähne hatten sich durch Kleidung und Rüstung gebohrt. Sie waren der magischste Teil der Spinne; selbst im Tod ließen sie nicht von ihm ab. Langsam zog Naburo an dem Gebiss, bis der Kiefer sich löste und die eine Hälfte des Spinnenkopfes mitsamt ihren vier starren Augen zum Rest auf den Boden fiel.
Schwindel breitete sich in ihm aus. Er spürte ein Brennen wie von Säure, das sich mit seinem Blut durch die Adern bewegte. Stöhnend griff er an die Wunde.
»Tut es weh?«, höhnte der Pilzelf. Noch immer glühte er in grellem grünlichem Licht.
Naburo drehte sich um. Er sah den scharlachroten Baumstumpf doppelt. »Nicht so sehr wie das«, flüsterte er und streckte die Hand aus.
Rote Stichflammen jagten aus dem Stumpf und verbrannten den Pilzelfen. Er schrie überrascht auf, wurde immer leiser und verstummte, während der Stumpf sich in schwarze Asche verwandelte.
Naburo stolperte ein paar Schritte von dem Aschehaufen und der toten Spinne fort. Er hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Sein Blick wanderte über die Senke, hin zum nächsten Berg. In den dichten Schleiern ließ sich nichts erkennen. Weit und breit war kein anderes Lebewesen zu sehen.
Weitere Kostenlose Bücher