Gesang des Drachen
Kappe des Griffs gegen das Kinn der jungen Frau fahren. Sie ging wie ein gefällter Baum zu Boden. So schnell, dass sie keinen Laut von sich gab. Der Länge nach lag sie auf der feuchten Wiese, das erdfarbene Kleid breitete sich um sie her aus.
Schreie und Zornrufe brandeten auf. Die Menge stürmte vor.
»Nicht!«, brüllte eine Stimme über sie hinweg. Inmitten des Tumults entstand ein neuer. Einige der weiß Betuchten rissen sich die Kopfbedeckungen ab und stellten sich den anderen in den Weg. Vor Naburo und Spyridon standen ein halbes Dutzend unerwartete Mitstreiter. Sie trugen keine Waffen, aber ihre Bewegungen sahen geschmeidig aus. Naburo war sicher, dass sie sich zu verteidigen wussten. Einer von ihnen war der bullige Mann, ein anderer der Elf mit dem Laub auf dem Kopf, also vermutlich Bricius. Bei ihnen stand eine Frau mit schwarzer Haut, die ebenfalls wie der Bullige wie ein Mensch aussah, aber eine Elfe war.
»Er ist der Ewige Todfeind!«, rief der Elf mit dem Laub auf dem Kopf. »Hört ihn an! Er ist ein Verbündeter und ein Freund! Das sage ich, Bricius, Anführer der Iolair!«
Gina kam zu sich. Andere halfen ihr auf. Ihr Gesicht verzerrte sich hasserfüllt.
Spyridon ließ Frans los und stieß ihn mit solcher Kraft von sich, dass der Schwergewichtige sich auf der Wiese überschlug. Schwerfällig richtete er sich auf. In seinem Gesicht schwoll auf der Stirn eine Ader an. Seine Stimme hallte über den Hügel wie der Schlag einer Kanonenkugel.
»Oh ihr Ungläubigen! Ihr kämpft noch immer gegen ihn an! Ihr erkennt seine wahre Größe nicht! Er wird uns den Frieden bringen!«
»Ach, schieb dir deinen Frieden doch ...«, setzte der Vierschrötige an, wurde aber von Bricius unterbrochen.
»Merkst du nicht, dass der Schattenlord Gehirnwäsche benutzt hat, um dich zu seinem Werkzeug zu machen, Frans? Begreift ihr das alle nicht? Ihr seid nicht ihr selbst! Er benutzt euch! Ihr seid für ihn nicht mehr als ein paar Nägel, die weggeworfen werden, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben! Er hat euch so sehr verbogen, dass ich keinen von euch mehr wiedererkenne!«
»Du lügst!«, kreischte Gina auf. Aber in ihrem Gesicht lagen Zweifel. Unruhe entstand in der Menge.
Naburo konnte fühlen, wie aufgewühlt die Gruppe war. Dieser Konflikt gärte augenscheinlich schon lange und machte sich nun auf überraschende Weise Luft. Er überlegte, selbst das Wort zu ergreifen, doch eine innere Stimme riet ihm davon ab. Etwas ging unter den Anhängern des Schattenlords vor sich, was er nicht fassen konnte, was jedoch positiv für ihn war.
»Verhaftet sie!«, verlangte Frans erneut, doch dieses Mal besaß seine Stimme keine Überzeugungskraft.
Gina breitete die Arme aus. Auf ihrem Kinn schwoll eine hässliche Beule an, da, wo die Kappe des Schwerts sie getroffen hatte. »Der Herr wird uns seine Wunder zeigen! Er lässt uns nicht im Stich! So, wie er Rimmzahn in den Himmel gehoben hat, wird er auch uns beistehen! Wir sind seine Auserwählten. Seine Rache wird über euch kommen mit Feuer und Schwefel!«
Mehrere Anhänger hoben die weiß betuchten Köpfe und starrten ehrfürchtig in den Himmel, als erwarteten sie tatsächlich, dass es Schwefel zu regnen begann. Auch Naburo befürchtete, dass der Schattenlord endlich aus seinem Versteck hervorkommen würde, um selbst mit ihnen zu verhandeln. Sicher spürte er, dass Spyridon nicht sein Feind war. Doch ihm fiel auch auf, dass Frans, der diese Verrückten anführte, zweifelnd wirkte.
Er verliert den Glauben an seinen Gott. Warum?
Spyridon trat dicht an Gina heran. In seinen Augen lag eine Mischung aus Erleichterung und Mitgefühl. »Dein Gott kommt nicht«, sagte er leise, und doch war es für alle gut zu hören. »Er kann es nicht mehr. Der Schattenlord ist nicht mehr da. Er hat euch verlassen. Für immer.«
Für eine Weile war es so still, dass Naburo das Zwitschern von Vögeln und das Zirpen von Grillen hören konnte. Irgendwo weit entfernt plätscherte ein Bach.
»Das ist nicht wahr!«, kreischte Gina. Ihre Arme schossen vor, sie wollte in Spyridons Gesicht kratzen.
Der Ewige Todfeind wich der Attacke aus und packte sie, doch Gina biss und trat um sich wie eine Wahnsinnige. »Der Schattenlord wird kommen!«
Die anderen sahen sie an, abgelenkt von ihrem Schreien und Wüten.
»Spyridon!«, rief Naburo. Er sah, wie Frans zurückwich, ein Messer zog und es einer der abgelenkten Menschenfrauen an den Hals presste.
Die junge, gazellenhafte Frau riss erschrocken die Augen
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