Gesang des Drachen
stieß die Tür auf und trat als Erster hinein. Die Anspannung war ihm anzusehen. Einige Augenblicke schwieg er, dann atmete er sichtlich auf. »Er ist nicht da«, sagte Bricius laut. »Der Elf ist fort.«
Einige sanken zu Boden und schluchzten, andere tuschelten verwirrt miteinander. Zwei Frauen wurden ohnmächtig. Fast alle machten den Eindruck von Geohrfeigten.
»Sie sehen aus, als würden sie aus einer Trance erwachen.« Naburo betrachtete die saubere Klinge, an der kein Blut haften blieb, und steckte sie zurück. Von der Gruppe ging keine Bedrohung mehr aus. Ihr Wille zum Kampf war endgültig gebrochen.
»Ja.« Spyridon klang erleichtert. »Der Zauber des Schattenlords lässt nach.«
Bricius trat vor die Menge. »Euer Gott ist fort. Jeder, der sich wieder den Iolair anschließen möchte, soll zu mir kommen! Ich verspreche, dass ich niemanden bestrafen werde, doch ich fordere euch auf, von euerm Glauben abzulassen! Setzt diese Kopfbedeckungen ab und tretet zu uns!« Er wies auf Maurice, Emma und die anderen.
Nach und nach gehorchten die führungslosen Jünger des Schattenlords. Viele taten es zögernd, offensichtlich schmerzte es sie, die Tücher vom Kopf zu ziehen. Andere rissen die Bedeckungen ab, schmissen sie auf den Boden und traten darauf. Zwei Frauen fielen einander in die Arme und jubelten, doch der Großteil der Gruppe erschien Naburo wie Schlafwandler, die nicht begriffen, was geschah. Am schnellsten erholten sich die Widerständler, die ohnehin nicht an den Schattenlord geglaubt hatten.
»Es war eine sehr tiefe Beeinflussung«, stellte er fest. Ihn fröstelte bei der Erkenntnis, wie viel Macht der Schattenlord besaß, dass er selbst in der Abwesenheit so stark in seinen Anhängern nachwirken konnte.
Es gab ein gutes Dutzend Jünger, die selbst unter den gegebenen Umständen nicht bereit waren, die Tücher vom Kopf zu nehmen.
Bricius gab seinen Leuten einen Wink. »Nehmt sie fest und sperrt sie in eine der Hütten. Wir haben keine Zeit, uns lange mit ihnen aufzuhalten. Alberich hat Cuan Bé bald erreicht.« Er sah Spyridon an. »Wir wissen, wer du bist und weswegen du kommst. Veda hat eine Nachricht an Deochar geschickt.«
Spyridon trat vor. »Dann weißt du auch, was ich nun tun werde.«
Bricius stand steif wie ein Brett vor dem Ewigen Todfeind. »Ja, ich weiß es. Und trotz deines Verrats an Cuan Bé bin ich dankbar dafür.«
Feierlich beugte Spyridon ein Knie, sank zu Boden und hielt Bricius sein Schwert mit beiden Händen entgegen. »Ich kämpfe auf deiner Seite, Anführer der Iolair. Verfüge über mich.«
26.
Der Kampf beginnt
Warmer Wind streifte Lauras Gesicht und brachte den würzigen Geruch des waldigen Landes mit sich. Es fühlte sich an wie die Brise auf einem Schiff, irgendwo an der türkischen Riviera, aber sie stand weder auf einem Schiff, noch war sie in einer Gegend der Welt, die sie kannte. Rings um sie erstreckte sich der violettblaue Vormittagshimmel Innistìrs. Unter ihren Füßen war der Titanendactyle, unvorstellbar groß und einzigartig in seinem Wesen.
Das Haar flatterte hinter ihr her. Sie konnte das Ziel ihrer Reise bereits ausmachen.
Josce zeigte hinab. Der Nebel, der den Vulkan seit der Errichtung Cuan Bés umgeben hatte, war gefallen. Unter dem kupferfarbenen Fell spielten ihre Muskeln. Die Zentaurin sagte nur ein einziges Wort: »Alberich!«
Laura und Milt standen neben ihr und starrten zusammen hinunter in die Tiefe. Auch Finn kam zu ihnen.
»Da müsste mal gesaugt werden«, sagte Finn, doch sein breites Grinsen wurde rasch schmaler. Hin und wieder riss die undurchsichtige Decke unter ihnen auf. Zwischen grauem Staub blitzten Teile von dem auf, was sich darunter verbarg.
Eine Schlinge zog Lauras Hals zu, während sie hinunter in die Tiefe blickte. Ein Heer aus Tausenden wand sich wie ein hässlicher schwarzer Lindwurm durch den Vulkankrater. Es hatte den am meisten geschützten Teil mit dem Hauptlager Cuan Bé noch nicht erreicht, aber es war schnurgerade auf seinem Weg, langsam und unerbittlich.
»Wahnsinn«, flüsterte Milt. »Was für eine Übermacht.«
»Ich sehe keinen Titanendactylen unter ihnen«, sagte Josce trocken. »Sucht euch sicheren Halt. Ehe wir die innere Grenze nach Cuan Bé passieren, werden wir Alberich einen ersten Vorgeschmack auf uns geben.«
Milt griff nach Lauras Hand und drückte sie. Sein Gesicht glänzte rosig. Laura war verwirrt darüber, aber vor allem erleichtert, wie gut es ihm wieder ging. Er schien sich
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