Gesang des Drachen
Kriegergruß, und dann entschwanden sie.
Rudy lag auf dem kalten Boden seiner Hütte und starrte an die Decke. Die Ereignisse hatten ihn überrollt. Ein Panzer war über sein Leben gefahren und hatte nichts zurückgelassen als Verwüstung und Tod. Er roch Verkohltes, blickte aber nicht in die Richtung, aus der der Geruch kam.
Obwohl über ihm das Strohdach der Hütte aufragte, sah er es nicht. Da war Frans. Frans, wie er sich wenige Minuten nach seinem Tod einfach aufgelöst hatte. Rudy hatte ein Stück entfernt gestanden und sich nicht rühren können.
Keine Beerdigung. Nicht einmal eine Rede hat es gegeben.
Frans, wie Naburos Schwert ihn durchstieß, locker und leicht wie eine Stoffpuppe.
Wie schnell der Elf Frans getötet hatte. Wie arrogant. Was bedeutete diesem spitzohrigen Dreckskerl ein Leben? Ein General sollte er sein, so hieß es im Dorf. Für Rudy war er ein Mörder.
Gina hatten sie bloß niedergeschlagen, aber Frans musste den Stahl fressen.
Eine Träne lief aus Rudys Augenwinkel. Und alle im Lager haben sich verändert. So rasend schnell verändert. Das war das Schlimmste an der Situation: zu sehen, wie sich die Menschen, die er kannte, nach und nach zurückverwandelten, seitdem die tiefe Trance, in der sie unwissentlich gelebt hatten, von ihnen abgefallen war. Auch Frans hätte diese Chance verdient. Rudy war sicher, dass Frans sich ebenso schnell verändert hätte wie die anderen.
Ja, Frans hatte Rudys Leben bedroht, ihn vielleicht sogar töten wollen. Aber doch nur, weil der unselige Einfluss des Schattenlords ihn dazu getrieben hatte. Im Grunde war Frans unschuldig, und hätte Naburo ihn am Leben gelassen, würde Frans sicher in diesem Moment zu ihm zurückkommen und sich für seine Taten und Worte entschuldigen.
Die Tränen liefen ungehindert, tropften über die Wangen, an den Ohren entlang zum Boden. »Frans«, wimmerte er. »Es hätte wie früher werden können. Du hättest erkannt, dass es das Böse war, das dich beeinflusste, und dann ...« Ja dann ... Sie hätten sich in die Arme geschlossen und Versöhnung gefeiert, denn trotz allem, was Frans ihm angetan hatte, liebte Rudy ihn noch immer.
Der Geruch nach Verkohltem wurde intensiver.
Mühsam drehte Rudy den Kopf zum Kessel, der über der Feuerstelle hing. Tee. Er hatte Tee kochen wollen. Wie lange war das her? Eine Stunde? Drei?
Von draußen näherten sich Schritte.
»Rudy?« Gina klopfte zaghaft an die Tür. »Mach doch auf!« Sie wartete einen Moment. »Laura ist zurückgekommen! Zusammen mit Milt und Finn, dieser Josce und dem fliegenden Riesenvieh. Es sieht gut für uns aus, Rudy, echt. Vielleicht können wir diesen Kampf gegen Alberich gewinnen und tatsächlich nach Hause zurück!«
Frans war mein Zuhause.
Gina plapperte weiter. »Die Iolair haben uns um Mithilfe gebeten für eine Verletztenstation oder so was. Die anderen gehen zur Meldung. Ich will auch gleich hin. Magst du nicht mitkommen?« Pause. »Rudy?«
Ohne Frans gehe ich nirgendwohin.
»Mensch, Rudy, ich weiß doch, dass du da drin bist. Ich geh dann, aber du kannst jederzeit nachkommen, okay?«
Verpiss dich.
»Na ja, dann ...« Gina zögerte. »Pass auf dich auf, Rudy, klar? In der Hütte kannst du auf Dauer nicht bleiben, das ist zu gefährlich. Es gibt ein Versteck für die Kinder und für die Alten, vielleicht willst du dahin gehen? Also, wir sehen uns ...«
Ihre Schritte entfernten sich.
Verbranntes. Tee. Da war etwas mit dem Tee. Rudy setzte sich schwerfällig auf. Das Wasser im Kessel war verdampft. Der Boden hatte sich schwarz verfärbt.
Frans wäre wieder normal geworden. Wie Gina. Der Gedanke ließ sich nicht abschütteln, saß einer Zecke gleich in seinem Hirn.
Rudy zwang sich auf die Füße, ging wie ein Zombie zum Wasservorrat, nahm einen der Eimer und kippte ihn über dem Feuer aus. Dampf wallte in die Höhe.
Naburo.
Zum ersten Mal in seinem Leben hasste Rudy.
Irgendwann überwand sich Rudy und verließ die Hütte. Er ging in die Richtung des großen Platzes vor einem der Hauptzugänge zum Höhlenlabyrinth, wohin so viele eilten. In der allgemeinen Betriebsamkeit fiel er nicht weiter auf.
Es stand eine Schlacht bevor. Rudy hatte eine gedrückte Stimmung erwartet, leise Stimmen, wenig Gelächter. Vielleicht jemanden, der Befehle schmetterte. Stattdessen ging es zu wie auf einem Volksfest. Kinder hingen an den Rockzipfeln strahlender Mütter, Elfen und Menschen arbeiteten Seite an Seite. Immer wieder sagte jemand andächtig:
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