Geschäfte mit der Ewigkeit
nicht hierlassen.
Frost wußte, daß er die Schuhe anziehen mußte, die der Fremde jetzt trug. Er konnte auch das Hemd und die Hose aus dem Rucksack anziehen. Dann mußte er noch ein paar Konserven einstecken. Und Streichhölzer – hoffentlich fand er Streichhölzer oder ein Feuerzeug. Den Kessel konnte er sich an den Gürtel hängen. Er würde ihn zum Wärmen des Essens brauchen.
Zwei Meilen, dachte er. Mindestens zwei Meilen, und alles bergauf, über schreckliches Geröll.
Aber er mußte es schaffen. Das Leben des Fremden stand auf dem Spiel.
Der Mann stöhnte und murmelte vor sich hin.
»Noch etwas Wasser?« fragte Frost.
Er schien es nicht gehört zu haben.
»Jade«, murmelte er. »Jade – soviel Jade ...«
31
Franklin Chapman saß auf der Bank vor der Bibliothek. Er wartete, wie er seit der Begegnung mit Frost jeden Mittwoch und Samstag gewartet hatte. Und in diesem Augenblick kam der erste Anfall. Alles drehte sich um ihn – die Straßenlaternen, die hellen Fenster des Mietshauses gegenüber, die dunklen Bäume und die glänzende Straße. Es war wie ein Kaleidoskop aus Licht und Schatten. Er krümmte sich bei dem feurigen Schmerz, der durch sein Herz und seinen Arm ging.
Die Arme um die Brust gepreßt, den Kopf gesenkt, so blieb er auf der Bank sitzen. Er hielt sich ganz ruhig, und allmählich wich der Schmerz aus der Brust. Aber sein linker Arm war immer noch steif und gefühllos.
Vorsichtig erhob er sich. Ich müßte heimgehen, dachte er, oder einen Taxifahrer anhalten und mich zum nächsten Krankenhaus bringen lassen.
Aber dann sagte er sich, daß er noch etwas damit warten mußte. Denn er hatte versprochen, jeden Mittwoch und Samstag zwischen neun und zehn zu warten. Was war, wenn Frost ihn brauchte?
Obwohl er seit jener Nacht, als der Koch in der Hintergasse getötet worden war, kein Lebenszeichen von ihm erhalten hatte. Und Ann Harrison war auch verschwunden, ohne ihm Bescheid zu sagen.
Was konnte mit den beiden nur geschehen sein?
Er streckte sich vorsichtig und legte den schmerzenden Arm in den Schoß.
Komisch, wie leicht er sich fühlte. Der Schmerz ließ nach ...
Und dann kam er mit neuer Wucht, und Chapman krümmte sich wieder.
Langsam und schmerzverzerrt atmete er aus, als das Feuer aus seiner Brust verschwand. Sein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt.
Ich darf nicht sterben, dachte er. Irgendwie muß ich es schaffen ...
Er stand gebückt neben der Bank. Am Ende der Straße sah er ein Taxi auftauchen. Stolpernd ging er über den Rasen auf die Straße zu und winkte dem näherkommenden Wagen.
Das Taxi blieb stehen, und der Fahrer öffnete die Tür. Chapman stolperte ins Innere und ließ sich auf den Sitz fallen. Sein Atem ging stoßweise und pfeifend.
Der Taxifahrer hatte sich halb herumgedreht und sah ihn an.
»Wohin, Mister?«
»Bringen Sie mich ...« Chapman unterbrach sich. Denn plötzlich war ihm ein Gedanke gekommen. Nicht in ein Krankenhaus. Noch nicht. Er mußte zuerst etwas anderes erledigen.
»Mister, ist Ihnen nicht gut?« fragte der Taxifahrer.
»Oh doch, danke.«
»Sie sehen nicht sehr gut aus.«
»Es ist schon in Ordnung«, sagte Chapman. Es war so schwer zu denken. So schwer, die Gedanken festzuhalten.
»Ich möchte zu einem Postamt«, sagte er.
»An der Straßenecke befindet sich eines, aber die Schalter werden geschlossen sein.«
»Nein«, flüsterte Chapman, »nicht zu irgendeinem Postamt. Zu einem ganz bestimmten.« Und er sagte dem Taxifahrer die Adresse.
Der Fahrer sah ihn mißtrauisch an.
»Mister, Sie sehen wirklich nicht besonders gut aus.«
»Mir fehlt nichts.«
Er lehnte sich im Sitz zurück und sah die Straße vorübergleiten. Die meisten Läden waren dunkel. An den hohen Fronten der Mietshäuser sah man noch hier und da ein Licht. Und weiter vorn war eine Kirche. Einmal, erinnerte er sich, war er in einer Kirche gewesen – aber es hatte nichts genützt.
Die Nacht war still, und die Stadt war still, so still wie an jedem Abend. Er saß da und sah sie an sich vorbeigleiten, und in dem Vorbeigleiten war eine Art Frieden. Erde und Leben, dachte er, sie sind beide gut. Die Lichtflecken, die die Laternen auf das Pflaster warfen, die herumstreunende Katze – ein Teil der Nacht, die bunten Reklameschilder ... Es waren alles Dinge, die er schon oft gesehen, aber nie richtig wahrgenommen hatte. Und jetzt, als er sich im Rücksitz des Taxis zurücklehnte, sah er sie zum erstenmal, er sah sie als Bausteine, aus denen sich die Stadt
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