Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
erklären!«
»Was ist ein Vaterschaftstest?«, fragte ich.
Sie wischte sich über die Augen und sagte: »Dir werden ein oder zwei Tropfen Blut abgenommen. Das tut fast gar nicht weh. Dann wird dein Blut mit dem Blut von diesem Helmut verglichen. Wenn es ähnlich ist, heißt das, dass er dein leiblicher Vater ist.«
»Wie wird das gemacht mit dem Blut? Schneiden die mich auf?«
»Sie pieksen dich nur ganz leicht in den Finger. Das tut fast gar nicht weh. Ich komme mit und halte dich ganz fest an der Hand.«
Mama lächelte mich an. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich zusammenreißen musste wie ich vorhin in unserem Theaterstück. Nur umgekehrt: Sie musste sich zusammenreißen, um zu lächeln.
»Warum will sie, dass ich das tue?«
»Nina, gib deiner Mutter nicht die Schuld dafür. Deine Mutter liebt dich, sie will dir bestimmt nichts Böses. Glaub mir. Morgen mache ich einen Termin.«
»Das ist nicht mein Vater, ich will mit dem nichts zu tun haben«, sagte ich entschlossen.
»Das kann ich verstehen, mein Schatz. Aber wir können im Moment nichts daran ändern. Es ist das Beste für uns alle, wenn wir deine Mutter nicht verärgern. Ist ja nur ein kleiner Piekser.«
Bloß ein Name
Nicht die Vollkommenen,
sondern die Unvollkommenen brauchen Liebe.
OSCAR WILDE
Ich packte meinen Malblock und mein Heft aus dem Ranzen und legte beides auf den Tisch. Es war die erste Stunde am Montagmorgen: Kunst. »Hast du die Hausaufgabe gemacht?«, fragte Steffi, meine Banknachbarin.
Klar hatte ich das. Ich nickte und schob ihr mein Heft zu.
Wir hatten zwei verschiedene Wiesenblumen möglichst genau mit Buntstiften abmalen sollen. Ich hatte mich für eine Glockenblume und ein Gänseblümchen entschieden. Kerstin hatte mir ein bisschen geholfen, aber nur bei den Umrissen, die sie ganz leicht mit Bleistift vorgemalt hatte. Sie war acht Jahre älter als ich und ziemlich gut im Malen.
Steffi nahm das in einer dunkelblauen Plastikhülle eingebundene DIN-A 4-Heft. Seit ich auf dem Gymnasium war, hatten alle meine Hefte die gleiche Art von Schutzhülle: einfarbig, mit einem riffeligen Karomuster in dem Plastik. In der Mitte oben hatten sie ein kleines Fach aus durchsichtigem Plastik, in dem das Namensschild steckte: Janine Götz, Klasse 5a, stand da. Bis gestern.
»Welche Blume hast du genommen? Ich hab …«, Steffi hörte plötzlich auf zu reden. »Warum steht da Janine Schuster? Du heißt doch Janine Götz?«, sie sah von dem Namensschild auf.
Gestern hatte ich alle Namensschilder aus allen Heften herausgenommen, umgedreht und auf die Rückseite den neuen Namen geschrieben: Janine Schuster. Die beiden Jungs in der Bank vor uns, Kazim und Mathias, drehten sich neugierig um.
»Ach, das ist egal. Meine Mutter hat geheiratet und deshalb heißen wir jetzt anders«, antwortete ich schnell, machte eine grinsende Grimasse und zuckte mit den Schultern. »Mein Nachname ist mir sowieso total egal!« War ja bloß ein Name. Der gar nichts bedeutete.
»Hier gibt’s nichts umsonst und auch nichts zu sehen, ihr könnt euch wieder umdrehen!«, sagte ich lachend zu den beiden Jungs in der Bank vor uns und machte eine wegscheuchende Handbewegung. So wie Oma, wenn sie die Tauben an der Bushaltestelle wegscheuchte.
Ich drehte mich zu Steffi und sagte: »Ich hab eine Glockenblume und ein Gänseblümchen gemalt. Das Gänseblümchen war aber viel einfacher. Und du?«
Ich hatte heute keine große Lust, über diese Pflegekind-Sache zu reden. In der Schule wussten sowieso alle, dass ich ein Pflegekind war. Ich war zwar noch nicht lange auf dem Gymnasium, aber viele kannte ich ja noch von der Grundschule und die wussten, dass ich nicht wie meine Familie Kunze hieß, sondern den Namen meiner Mutter hatte. Mama hatte mir erklärt, dass das daran lag, dass ich nicht adoptiert war, sondern ein Pflegekind. Aber es war ja bloß ein Name. Zum Glück hatten es die, die ich aus der Grundschule kannte, den anderen erzählt, sodass ich selten etwas dazu gefragt wurde. Ich hasste es, wenn meine Schulfreundinnen sagten: »Oh du Arme, wie ist das denn, ein Pflegekind zu sein?«
Ich sagte dann immer: »Wieso denn ›Arme‹, seh ich etwa so aus, als ginge es mir schlecht?«, und grinste dabei. Ich war ja gar keine »Arme«, mir ging’s super! Klar, ein paar Dinge nervten manchmal, aber im Grunde war zu Hause alles genauso wie bei allen anderen. Total normal.
Steffi war zum Glück anders. Sie fand es cool, dass ich noch eine zweite Mutter hatte, und wollte
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