Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
ich Helmut nicht mochte, fand ich das cool. Wir fuhren in ein Restaurant, wo wir uns mit Freunden von ihnen trafen. Der Kellner begrüßte Helmut und meine Mutter, als wären sie Freunde. Er schenkte mir einen kleinen roten Lolli und zwei Kugelschreiber, auf denen der Name des Restaurants stand, und zeigte uns, wo wir saßen. Als die Freunde meiner Eltern da waren, bestellten wir. Ich aß Spaghetti Bolognese. Die Soße schmeckte allerdings nicht so gut wie die Bolognese von Mama. Während des Essens erzählte Helmut den Freunden, dass ich bald bei ihnen einziehen würde, weil wir jetzt eine Familie wären.
»Ist sie nicht eine Schönheit?«, fragte er. »Wie ihre Mutter!«
Meine Mutter lächelte. Mir war das total peinlich, aber ich lächelte auch. Zum Nachtisch durfte ich noch ein Eis bestellen. Später malte ich ein bisschen mit den Kugelschreibern, bis wir wieder nach Hause fuhren. Ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte.
Am nächsten Tag war Samstag und meine Mutter wollte in die Stadt einkaufen gehen. Helmut fuhr uns zum Rudolfplatz, wo wir ausstiegen und in Richtung Mittelstraße gingen. Als erstes wollte meine Mutter in eine Boutique, die in einer der Seitenstraßen der Mittelstraße war und in der eine Freundin von ihr arbeitete. Es war gerade nicht viel los in der Boutique, deshalb tranken die beiden einen Kaffee und setzten sich auf zwei kleine, verzierte Eisenstühle, die in der Mitte des Verkaufsraums standen.
»Schau dir doch ein bisschen die Sachen an und probier an, was du möchtest!«, sagte Mutti. Aber die Sachen waren alle für Erwachsene und für mich zu groß. Auf einem Regal standen einige Paar Schuhe, die meisten mit hohen Absätzen. Ich probierte sie an und versuchte, damit vor dem Spiegel auf und ab zu gehen. Aber die waren viel zu groß und ich schlupfte hinten immer raus. Dann versuchte ich, mir aus den Tüchern, die in einem großen Korb lagen, einen Schleier zu binden. Als ich das letzte Mal bei meiner Mutter gewesen war, hatten wir den Film Die Bibel angeschaut. Da hatten viele Frauen Schleier um. Aber sie rutschten immer runter und irgendwann hatte ich keine Lust mehr. Meine Mutter war mittlerweile aufgestanden und schaute sich die Sachen an den Ständern an. In einer Hand hielt sie zwei Bügel mit einem Kleid und einem Rock.
»Können wir bald weitergehen?«, fragte ich meine Mutter.
»Ich probier nur noch kurz etwas an, Schatz! Guck dich doch noch ein bisschen um«, antwortete sie.
Es dauerte endlos lange, bis sie auch gehen wollte. Sie kaufte zwei Röcke und einen Pulli. Wir verabschiedeten uns von ihrer Freundin und als wir wieder auf der Straße waren, sagte sie:
»Jetzt kaufen wir dir auch was Schönes. Du darfst dir etwas wünschen. Was möchtest du denn gerne haben?«
»Egal, was?«, fragte ich.
Sie nickte und sagte: »Ja, egal, was.«
»Okay, dann wünsche ich mir eine Teddyjacke!«, antwortete ich. »Es gibt so eine bei Karstadt. Aber Mama wollte sie mir nicht kaufen.« Das sagte ich vorsichtshalber dazu. Trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl. Aber ich schob es schnell weg. Ich wollte diese Jacke unbedingt!
Meine Mutter lächelte: »Na, dann schauen wir uns die mal an, oder?«
Wir gingen die Breite Straße entlang bis zu Karstadt. In der Kinderabteilung fanden wir die Jacke. Ich probierte sie an und meine Mutter war total begeistert:
»Total süß, Janine! Du siehst aus wie ein kleiner Filmstar!«
Ich drehte mich vor dem Spiegel und fasste in das weiße Fell. Das sah wirklich toll aus.
»Ich versteh gar nicht, warum deiner Mama die Jacke nicht gefällt. Die sieht doch klasse aus!«
»Sie hat gesagt, sie ist hässlich und außerdem krieg ich damit eine Nierenentzündung.«
»Janine, deine Mama ist eine tolle Frau, aber manchmal finde ich ihre Ansichten echt langweilig und spießig.«
Ich wusste nicht genau, was spießig bedeutete. Und langweilig fand ich Mama eigentlich auch nicht. Ich fand es blöd, dass sie so schlecht über Mama redete, sagte aber nichts. Ich wollte, dass sie mir diese Jacke kaufte! Ich fragte Mutti, ob ich die Jacke sofort anziehen durfte.
»Ja, klar, kein Problem, dann packen wir einfach deine alte in die Tüte«, sagte sie und ich tauschte die Jacken aus. Mit der neuen Jacke fühlte ich mich supercool.
Abends durfte ich sogar bis elf Uhr Fernseh gucken. Das durfte ich zu Hause nie. Da musste ich unter der Woche um acht ins Bett und am Wochenende spätestens um neun.
Als ich am Sonntagabend nach Hause kam, stand Mama schon in
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