Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Adventskranz oder schenkte sie unseren Verwandten.
Meine Mutter kicherte. »Oh Mann, Strohsterne! Das ist ja schon ganz schön spießig bei euch, oder? Ist das nicht langweilig, den ganzen Tag Strohsterne basteln?«
»Ich war ja vorher noch in der Schule! Außerdem haben wir auch noch kleine Krippen aus Walnussschalen gebastelt!«
»Na dann«, sagte meine Mutter, grinste und schaute aus dem Fenster.
Ich schaute auch aus dem Fenster.
Kurz bevor sie geheiratet hatten, waren sie und Helmut in eine neue Wohnung gezogen, die in der gleichen Gegend lag wie die, in der sie zuvor alleine gewohnt hatte. Ich war in diesem Jahr ungefähr alle zwei Monate zu Besuch gewesen. Die neue Wohnung lag in einem Wohngebiet mit vielen Mehrfamilienhäusern. In jedem Haus wohnten sechs oder sieben Familien. Die neue Wohnung war größer als die alte. Es gab jetzt zwei große Sofas und einen dazu passenden Sessel. Auf einem der Sofas schlief ich, wenn ich bei ihnen war. In der alten Wohnung hatte ich bei meiner Mutter im Bett geschlafen. Das war immer noch riesig. Aber jetzt schlief da Helmut. Zur Küche hin hatten sie eine Theke, vor der vier Barhocker standen. Das fand ich cool.
Ich sah mir im Wohnzimmer Western von gestern an, und meine Mutter telefonierte mit irgendwem im Schlafzimmer. Auf dem Couchtisch lag ein Modekatalog. Als Western von gestern vorbei war, nahm ich den Modekatalog und blätterte darin. Plötzlich sah ich ein Bild von meiner Mutter. Sie trug einen dunkelbraunen, leicht glänzenden Overall. Dazu hatte sie einen breiten schwarzen Gürtel und kurze schwarze Stiefel an. Sie saß auf einem Motorroller. Neben ihr stand eine andere Frau, die ein Kleid trug. Die beiden lächelten.
»Ja, da schaust du, was? Deine Mutti ist jetzt Model!«
Ich erschrak. Ich hatte gar nicht gehört, dass Helmut nach Hause gekommen war. Er stand hinter mir und sah mir über die Schulter.
»Weiter hinten bei den Mänteln kommt sie auch noch mal«, sagte er.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und blätterte weiter in dem Katalog. Aber ich fand sie nicht noch mal.
Helmut setzte sich auf den Sessel und fragte: »Was möchtest du denn mal werden? Auch Model?«
»Ärztin.«
Dazu fiel ihm nichts ein. Er hielt mir ein großes, flaches Päckchen hin, das in Geschenkpapier eingepackt war. Er hatte sehr große Hände und trug zwei breite Goldringe. Auf einem war ein eingeritztes Bild, ein Wappen, hatte er mir erklärt. Man konnte den Ring in Wachs drücken, dann sah man das Bild als Abdruck.
»Hier, guck mal, für dich.« Die Schleife war mit dem goldenen Aufkleber eines Geschäfts festgemacht. »Na los, pack’s aus und schau nach, was dir dein Vati mitgebracht hat!«, sagte er und wedelte mit dem Geschenk.
»Danke«, sagte ich, nahm es und wickelte das Papier ab. Es war eine Jumbotafel Schokolade mit ganzen Haselnüssen.
»Oh, danke!«, sagte ich möglichst freundlich. Meine Lieblingsschokolade war eigentlich Vollmilch.
»Dein Vati weiß doch, was seiner Tochter schmeckt!«, sagte er, beugte sich zu mir nach vorne und strubbelte mir über den Kopf.
Ich machte das Papier an einer Seite auf und brach mir eine Rippe ab.
»Aber nicht zu viel! Wir wollen ja gleich noch essen gehen!«, sagte Helmut und hob den Zeigefinger. Dabei grinste er und lehnte sich wieder zurück.
»Okay«, sagte ich und schob mir die Schokolade in den Mund. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber erst mal hatte ich ja auch den Mund voll. Dann fiel mir etwas ein: »Letztes Wochenende waren wir mit Mama und Papa auch essen. Mama hatte Geburtstag und Papa hat uns alle in den Försterhof eingeladen«, sagte ich.
Helmut rutschte auf seinem Sessel etwas nach vorne, sah mich an und sagte: »Vergiss mal die anderen, Janine. Ich bin jetzt dein Papa. Wir holen dich bald und dann sind wir eine Familie.« Dann stand er auf und ging in Richtung Schlafzimmer.
Was meinte er mit holen ? Ich war doch schon da. Ich blätterte weiter in dem Katalog.
Eine halbe Stunde später setzten wir uns in Helmuts Amischlitten. Das Auto war wirklich cool. Die roten Ledersitze waren so weich, dass ich bei jedem Hubbel auf der Straße nach oben hüpfte. Fast wie auf einem Hüpfball. Auf der Sitzbank hinten war so viel Platz, dass mindestens noch drei Kinder neben mich gepasst hätten. Helmut machte laute Musik an. Sein Autoradio hatte auch einen Kassettenrekorder. Bei Mama und Papa im Auto hörten wir nie Musik, nur die Verkehrsnachrichten. Bei Helmut gab es immer laute Rockmusik. Obwohl
Weitere Kostenlose Bücher