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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Réage
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Augen, die junge Männer und Frauen faszinieren - er hat ihn mir gezeigt und gesagt: »Ich verstehe nicht, daß die Frauen solche Männer nicht den Knaben von dreißig Jahren vorziehen.« Er war noch keine Dreißig. Ich habe nicht geantwortet: »Aber sie ziehen sie ihnen ja vor.« Den Unbekannten habe ich lange angeschaut. Vielleicht fünfzig Jahre, bestimmt Engländer. Und was sonst noch? Nichts. Aber dieser stumme, einseitige Kontakt zwischen ihm und meinem Gefährten, zwischen ihm und mir ist zehn Jahre später blitzartig wieder aufgetaucht, mitten in der Nacht, die nur der Schein der Lampe auf meinem Nachttisch durchlöcherte, und die Hand auf dem Papier hat ihn mit einer neuen Bedeutung noch schneller wiedererstehen lassen als die Überlegung. Anne-Marie kenne ich überhaupt nicht. Eine meiner Freundinnen (die ich respektiere, und ich respektiere nicht leicht jemanden) könnte sehr wohl Anne-Marie sein, wäre sie nicht die Keuschheit und Anständigkeit in Person: ich will damit sagen, Anne-Marie hätte die Entschlossenheit und Strenge von ihr haben können, und die Unverblümtheit und die tadellose und redliche Art und Weise, wie sie ihr Gewerbe ausübte. Offen gestanden, die fraglichen Gewerbe (das von O, das von Anne-Marie, Hure oder Kupplerin, wenn ich mich deutlich ausdrücken muß) kenne ich nicht. Wenn ein entrüsteter großer Schriftsteller in meiner Erzählung die Erinnerungen einer Schönen sehen will - und zu seiner Entschuldigung gesteht, daß er sie nicht gelesen habe - so irrt er zweimal: es sind keine Erinnerungen, und ich bin keine Schöne, wie ritterlich dieser Ausdruck auch sein mag. Sagen wir, um ihm eine Freude zu machen, daß ich zweifellos meinen Beruf verfehlt habe. Ist es nach dem gekürzten Personenverzeichnis, wie im Theater, noch interessant, die Schauplätze der Handlung genau anzugeben? Sie sind Allgemeingut. Die Rue de Poitiers und das Séparé bei La Pérouse, das Zimmer im Stundenhotel in der Nähe der Bastille mit dem Spiegel an der Decke, die Straßen im Quartier St.-Germain, die sonnigen Quais der Ile St. Louis, der trockene, weiße Kies im provençalischen Hinterland und dieses Roissyin-Frankreich, bei einem kurzen Ausflug im Frühling entdeckt, kaum etwas anderes als ein Name auf der Landkarte, gewiß, nichts ist erfunden, und ebenso wenig die Astern, von denen ich Ihnen gesagt habe, daß wir sie wiederfinden würden. Ebenfalls nicht erfunden - eher gestohlen, und ich bitte ihn nachträglich um Verzeihung, aber es war ein Diebstahl aus Bewunderung - sind die Masken von Leonor Fini. Anscheinend habe ich auch den Salon einer Dame gestohlen und ihn einer abscheulichen Verwendung zugeführt: den Salon von Sir Stephen, stellen Sie sich das vor! Die Dame hat es mir selbst gesagt, nicht ahnend, mit wem sie sprach (man weiß nie, mit wem man spricht). Niemals bin ich bei ihr gewesen, niemals habe ich diesen Salon gesehen. Auch das in einer Bodensenke verborgene Haus habe ich niemals gesehen (und wußte nicht, daß es existierte), jenes Haus, wo seit Jahren ein Mädchen, das ich schließlich durch einen Zufall kennenlernte, dem Mann, den es liebte - und der es mit Hilfe eines unsichtbar in der Wand angebrachten Spiegels und eines Mikrophons überwachte - die Schauspiele bot, die Sir Stephen von O verlangte: die Hingabe an Unbekannte, die er anheuerte und ihr aufzwang. Nein, ich habe die Geschichte dieses Mädchens nicht kopiert, noch hat sich das Mädchen von der Geschichte, die ich erzähle, beeinflussen lassen. Aber nachdem einmal dem Phantastischen und der Weitschweifigkeit Rechnung getragen war, was die Obsessionen mildert (die unaufhörliche Wiederholung der Freuden und Mißhandlungen war ebenso notwendig wie absurd und unerfüllbar), überschneidet sich alles, Erlebtes oder Geträumtes, alles erweist sich als gemeinhin geteilt in dem Universum desselben Wahnsinns - und wenn man es fertigbringt, diesem Universum ins Angesicht zu sehen, dann ist alles - Greuel und Wunderbares, Träume und Schäume - Beschwörung und Erlösung.
    Pauline Réage
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Rückkehr nach Roissy
    Die folgenden Seiten sind eine Fortsetzung der Geschichte der O . Sie sind bewußt ein Abstieg, und sie dürfen niemals in die Geschichte der O einbezogen werden.
    P. R.
    Alles schien geregelt zu sein: der September rückte heran. Mitte September sollte O wieder nach Roissy gehen und Natalie mitnehmen. René, von einer Reise nach Nordafrika zurückgekehrt, würde Jacqueline dort hinbringen - zumindest ließ er das

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