Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
geleiteten Massen, gegen Kornilow kämpfend, nicht im mindesten Kerenski trauten. Es ging für sie nicht um die Verteidigung der Regierung, sondern um die Beschirmung der Revolution. Um so entschlossener und opfermutiger war ihr Kampf. Der Widerstand gegen die Meuterei erwuchs aus Schienen, Steinen, aus der Luft. Die Eisenbahner der Station Luga, wohin Krymow gekommen war, weigerten sich beharrlich, die Militärzüge abfahren zu lassen, mit dem Hinweis, es gäbe keine Lokomotiven. Die Kosakenstaffeln waren im Augenblick von bewaffneten Soldaten der zwanzigtausend Mann starken Lugaer Garnison umringt: Ein kriegerischer Zusammenstoß fand nicht statt, doch etwas viel Gefährlicheres: ein Kontakt, eine Verbindung, ein gegenseitiges Durchdrungensein. Der Lugaer Sowjet hatte inzwischen die Regierungserklärung über Kornilows Entlassung abgedruckt, und dieses Dokument wurde jetzt in den Staffeln stark verbreitet. Die Offiziere redeten den Kosaken zu, den Agitatoren nicht zu trauen. Doch schon die Notwendigkeit des Zuredens war ein bedrohliches Vorzeichen.
Nach Empfang des Kornilowschen Befehls, vorzurücken verlangte Krymow mit blankem Säbel, daß die Lokomotiven in einer halben Stunde fertig zu sein hätten. Die Drohung hatte scheinbar gewirkt: wenn auch mit neuen Verzögerungen, wurden die Lokomotiven schließlich gestellt; aber die Vorwärtsbewegung war trotzdem nicht möglich, denn der Weg nach vorn war zerstört und für gute vierundzwanzig Stunden verstopft. Um sich vor der zersetzenden Propaganda zu retten, führte Krymow am Abend des 28. seine Truppen einige Werst hinter Luga zurück. Aber die Agitatoren drangen sofort auch in die Dörfer ein: es waren Soldaten, Arbeiter, Eisenbahner, vor ihnen gab es keine Rettung, sie drangen überall durch. Die Kosaken versammelten sich sogar zu Meetings. Belagert von der Propaganda und seine Hilflosigkeit verfluchend, wartete Krymow vergeblich auf Bagration: die Eisenbahner hielten die Staffeln der "wilden" Division auf denen es ebenfalls bevorstand, in den nächsten Stunden der gefährlichen moralischen Attacke ausgesetzt zu sein. Wie willenlos, ja sogar feige die Versöhnlerdemokratie an sich auch gewesen sein mochte, so hatten ihr doch jene Massenkräfte, auf die sie sich im Kampfe gegen Kornilow halb und halb wieder stützen mußte, unerschöpfliche Wirkungsquellen eröffnet. Die Sozialrevolutionäre und Menschewiki sahen ihre Aufgabe nicht darin, Kornilows Truppen in offenem Kampfe zu besiegen, sondern darin, sie für sich zu gewinnen. Das war richtig. Gegen diese Linie des "Versöhnlertums" hatten selbstverständlich auch die Bolschewiki nichts einzuwenden: im Gegenteil, das war gerade ihre Grundmethode; die Bolschewiki verlangten nur, daß hinter den Agitatoren und Parlamentären bewaffnete Arbeiter und Soldaten bereitstanden. Für die moralische Einwirkung auf die Kornilowschen fand sich sogleich eine unbeschränkte Auswahl an Mitteln und Wegen. So wurde der "wilden" Division eine muselmanische Delegation entgegengeschickt, der die gleich an Ort und Stelle ausfindig gemachten einheimischen Autoritäten angegliedert waren, beginnend mit dem Enkel des berühmten Chamil, des heldenhaften Verteidigers des Kaukasus gegen den Zarismus. Die Bergtruppen erlaubten ihren Offizieren nicht, die Delegation zu verhaften: das widerspräche den jahrhundertealten Traditionen der Gastfreundschaft. Verhandlungen fanden statt und wurden sogleich der Anfang vom Ende. Die Kornilowschen Kommandeure hatten sich zur Begründung des ganzen Marsches auf die in Petrograd ausgebrochenen Meutereien "deutscher Agenten" berufen. Die unmittelbar aus der Hauptstadt eingetroffenen Delegierten widerlegten nicht nur die Tatsache der Meuterei, sondern wiesen mit Dokumenten in der Hand nach, daß Krymow ein Rebell sei, der die Truppen gegen die Regierung führe. Was konnten darauf Kornilows Offiziere erwidern?
Auf dem Waggon des Stabes der "wilden" Division brachten die Soldaten eine rote Fahne an mit der Aufschrift: "Land und Freiheit". Der Stabskommandant befahl, die Fahne einzurollen: "nur zur Vermeidung einer Verwechslung mit dem Eisenbahnsignal", wie der Herr Oberstleutnant erklärte. Das Kommando des Stabes gab sich mit der ängstlichen Erklärung nicht zufrieden und verhaftete den Oberstleutnant. Ob man sich im Hauptquartier nicht doch geirrt hatte, als man sagte, den Kaukasiern sei es gleich, wen sie abschlachten?
Am nächsten Morgen traf von Kornilow ein Oberst bei Krymow ein mit dem Befehl:
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