Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
das Korps zusammenziehen, schnell gegen Petrograd vorrücken und es "überraschend" besetzen. Im Hauptquartier versuchte man offenkundig, die Augen vor der Wirklichkeit noch zu verschließen. Krymow antwortete, das Korps sei auf verschiedenen Eisenbahnstrecken verstreut und werde an verschiedenen Stellen ausgeladen; unter seinem Befehl seien vorläufig nur acht Kosakenhundertschaften, die Eisenbahnlinien seien zerstört, versperrt, verbarrikadiert; Weiterkommen sei nur auf dem Marschwege möglich, und schließlich könne von einer überraschenden Besetzung Petrograds jetzt keine Rede sein, wo die Arbeiter und Soldaten in Hauptstadt und Umgebung unter Waffen ständen. Die Sache wurde dadurch noch komplizierter, daß die Möglichkeit endgültig verlorengegangen war, die Operation "überraschend" für die Truppen Kry-mows selbst durchzuführen: Böses ahnend, verlangten sie Aufklärung. Man war gezwungen, sie in den Konflikt zwischen Kornilow und Kerenski einzuweihen, das heißt offiziell Versammlungen auf die Tagesordnung zu stellen.
Ein von Krymow in diesem Augenblick erlassener Befehl lautete: "Heute nacht erhielt ich vom Hauptquartier des Höchstkommandierenden und aus Petrograd die Mitteilung, daß in Petrograd Meutereien begonnen haben ... " Diese Lüge sollte den bereits völlig offenen Feldzug gegen die Regierung rechtfertigen. Kornilows persönlicher Befehl vom 29. August lautet: "Die Konterspionage in Holland meldet: a) für die nächsten Tage wird gleichzeitig an der gesamten Front ein Schlag geplant zu dem Zwecke, unsere auseinandergefallene Armee zu erschüttern und zur Flucht zu zwingen, b) ein Aufstand in Finnland ist vorbereitet, c) es sind Brückensprengungen am Dnjepr und an der Wolga geplant, d) ein Aufstand der Bolschewiki in Petrograd wird organisiert." Dies ist die gleiche Meldung, auf die Sawinkow schon am 23. sich berufen hatte: Holland wurde nur zur Ablenkung erwähnt, das Dokument war allen Anzeichen nach in der französischen Militärmission oder unter deren Mitwirkung fabriziert worden.
Kerenski telegraphierte am gleichen Tage an Krymow: "In Petrograd herrscht völlige Ruhe. Ein Aufstand wird nicht erwartet. Es besteht kein Bedürfnis nach Ihrem Korps." Der Aufstand sollte durch die standrechtlichen Dekrete Kerenskis selbst hervorgerufen werden. Da die Regierung ihre Provokation vertagen mußte, durfte Kerenski berechtigterweise annehmen: "Ein Aufstand wird nicht erwartet."
Keinen Ausweg sehend, unternahm Krymow den sinnlosen Versuch, mit seinen acht Hundertschaften gegen Petrograd zu marschieren. Das war mehr eine Geste zur Erleichterung des Gewissens, die selbstverständlich zu nichts führte. Einige Werst hinter Luga auf einen Wachschutz stoßend, kehrte Krymow um, ohne erst zu versuchen, den Kampf aufzunehmen. Über diese einzige, völlig fiktive "Operation" schrieb später Krassnow, der Chef des 3. Kavalleriekorps: "Es wäre notwendig gewesen, den Schlag gegen Petrograd in einer Stärke von sechsundachtzig Schwadronen und Hundertschaften zu führen, er wurde jedoch von einer Brigade aus acht schwachen Hundertschaften, überdies zur Hälfte ohne Vorgesetzte, unternommen. Statt mit der Faust zuzuschlagen, schlug man mit einem Fingerchen: es war schmerzhaft für das Fingerchen und ganz unempfindlich für den, den man schlug." Eigentlich war auch kein Schlag mit einem Fin-gerchen erfolgt. Einen Schmerz hat niemand verspürt.
Die Eisenbahner taten unterdessen ihre Sache. Geheimnisvollerweise bewegten sich die Staffeln nicht in den Richtungen ihrer Bestimmungsorte. Die Regimenter trafen nicht bei ihren Divisionen ein, die Artillerie wurde in Sackgassen hineingetrieben, die Stäbe verloren die Verbindung mit ihren Truppenteilen. Auf allen größeren Stationen gab es eigene Sowjets, Eisenbahner- und Soldatenkomitees. Die Telegraphisten unterrichteten sie über alle Ereignisse, alle Verschiebungen, alle Veränderungen. Die gleichen Telegraphisten hielten Kornilows Befehle auf. Für die Kornilowianer ungünstige Nachrichten wurden unverzüglich vervielfältigt, verbreitet, angeschlagen, von Mund zu Mund weitergegeben. Maschinist, Weichensteller, Wagenschmierer wurden zu Agitatoren. In dieser Atmosphäre bewegten sich, oder was noch schlimmer, standen auf einem Fleck die Kornilowschen Staffeln. Das Kommando, das die Hoffnungslosigkeit seiner Lage bald verspürte, drängte offensichtlich nicht nach vorn und erleichterte durch seine Passivität die Arbeit der Gegenverschwörer des Transportes.
Weitere Kostenlose Bücher