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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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zweifellos das übliche Mißtrauen der Bauern untereinander: es ging jetzt um direkte Aneignung und Teilung der Gutsbesitzerhabe, jeder wollte selbst daran teilnehmen, ohne seine Rechte einem anderen anzuvertrauen. So führte die höchste Kampfverschärfung zu vorübergehendem Beiseiteschieben der Vertretungsorgane durch die urwüchsige bäuerliche Demokratie von der Art der Dorfversammlung und des Mirspruchs.
    Die grobe Unklarheit im Deuten des Charakters der Bauernbewegung muß besonders überraschend erscheinen aus der Feder bolschewistischer Forscher. Doch darf man nicht vergessen, daß es sich um Bolschewiki neuen Schlages handelt. Bürokratisierung des Denkens führt unvermeidlich zur Überschätzung der Organisationsformen, die der Bauernschaft von oben aufgezwungen waren, und zur Unterschätzung jener, die die Bauernschaft sich selbst gab. Der aufgeklärte Beamte betrachtet zusammen mit dem liberalen Professor gesellschaftliche Prozesse unter dem Gesichtswinkel der Verwaltung. Als Volkskommissar für Landwirtschaft bewies Jakowlew später das gleiche summarisch-bürokratische Herangehen an die Bauernschaft, nur auf einem unermeßlich weiteren und verantwortlicheren Gebiet, nämlich bei der Durchführung der "durchgehenden Kollektivisierung". Theoretische Oberflächlichkeit rächt sich grausam, wenn es um die Praxis im großen Maßstabe geht!
    Jedoch bis zu den Fehlern der durchgehenden Kollektivisierung bleiben noch gute dreizehn Jahre. Jetzt handelt es sich vorerst um die Expropriierung des Bodeneigentums. 134.000 Gutsbesitzer zittern noch um ihre achtzig Millionen Deßjatinen. Am gefährdetsten ist die Lage der Spitze der dreißigtausend Herren des alten Rußland, die über siebzig Millionen Deßjatinen verfügen, durchschnittlich mehr als zweitausend Deßjatinen pro Besitzer. Der Adelige Boborykin schreibt an den Kammerherrn Rodsjanko: "Ich bin Gutsbesitzer, und es will mir nicht in den Kopf, daß ich meinen Boden verlieren soll, noch dazu für den unwahrscheinlichsten Zweck: für ein Experiment der sozialistischen Lehren." Aber eine Revolution hat eben zur Aufgabe, zu vollziehen, was den Regierenden nicht in den Kopf will.
    Weiterblickende Gutsbesitzer kommen jedoch zu der Einsicht, daß sie ihre Güter nicht werden behalten können. Sie streben es auch schon gar nicht mehr an: je schneller sie den Boden loswerden, um so besser. In der Konstituierenden Versammlung sehen sie vor allem die große Verrechnungskammer, wo der Staat sie nicht nur für den Boden, sondern auch für ihre Unannehmlichkeiten entschädigen wird.
    Die Bauerneigentümer schlossen sich von links diesem Programm an. Sie waren nicht abgeneigt, mit dem parasitären Adel Schluß zu machen, fürchteten aber, den Begriff des Bodeneigentums zu erschüttern. Der Staat sei reich genug, erklärten sie auf ihren Kongressen, um den Gutsbesitzern die Kleinigkeit von zwölf Milliarden Rubel zu bezahlen. In ihrer Eigenschaft als "Bauern" hofften sie dabei, unter bevorrechteten Bedingungen auf Kosten des Volkes zu gutsherrlichem Boden zu kommen.
    Die Besitzer erkannten, daß die Höhe der Ablösungen eine politische Größe ist, die bestimmt wird vom Kräfteverhältnis im Augenblick der Abfindung. Bis August blieb Hoffnung, daß die nach Kornilow-Methoden einzuberufende Konstituierende Versammlung die Agrarreform auf einer mittleren Linie zwischen Rodsjanko und Miljukow durchführen würde. Kornilows Zusammenbruch bedeutete, daß die besitzenden Klassen das Spiel verloren haben.
    Im September und Oktober warteten die Gutsbesitzer auf die Lösung, wie ein hoffnungsloser Kranker auf den Tod. Der Herbst ist die Zeit der Muschikpolitik. Die Felder sind abgeerntet, die Illusionen zerstreut, die Geduld erschöpft. Es ist Zeit, Schluß zu machen! Die Bewegung tritt aus den Ufern, erfaßt alle Bezirke, verwischt lokale Besonderheiten, reißt alle Dorfschichten mit, spült Rücksichten auf Gesetz und Vorsicht weg, wird offensiv, erbittert, ungestüm, rasend, bewaffnet sich mit Eisen und Feuer, Revolver und Granaten, vernichtet und brennt Gutshöfe nieder, verjagt die Gutsbesitzer, säubert den Boden, tränkt ihn mancherorts mit Blut.
    Zugrunde gehen die Adelsnester, einst besungen von Puschkin, Turgenjew und Tolstoi. In Rauch geht das alte Rußland auf Die liberale Presse sammelt das Stöhnen und Klagen über die Vernichtung von englischen Gärten, Bildern der leibeigenen Pinsel, Familienbibliotheken, Tambower Parthenons, Rennpferden, alten Gravüren,

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