Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Staat des großrussischen Beamten, der keinerlei Anstalten trat, seinen Platz an jemand abzutreten.
Je tiefere Massen die Revolution in den Randgebieten erfaßte, um so krasser zeigte sich, daß die Staatssprache dort die Sprache der besitzenden Klassen war. Das Regime der formalen Demokratie, mit Presse- und Versammlungsfreiheit, ließ die rückständigen und unterdrückten Nationalitäten noch schmerzlicher empfinden, wie sehr sie der elementarsten Mittel kultureller Entwicklung beraubt waren: eigener Schulen, eigener Gerichte, eigenen Beamtentums. Die Hinweise auf die künftige Konstituierende Versammlung reizten nur: in dieser Versammlung würden ja doch die gleichen Parteien herrschen, die die Provisorische Regierung geschaffen haben, und fortfahren, die Traditionen der Russifizierung zu verteidigen, mit eifriger Gier jene Grenze offenbarend, über die die regierenden Klassen nicht hinausgehen wollen. Finnland ward sogleich ein Splitter im Körper des Februarregimes. Dank der Schärfe der Agrarfrage, die in Finnland eine Frage der kleinen, in leibeigener Hörigkeit stehenden Pächter war (der Torpars), führten die Industriearbeiter, die insgesamt 14 Prozent der Bevölkerung ausmachten, das Dorf hinter sich. Der finnländische Sejm war das einzige Parlament der Welt, wo die Sozialdemokratie die Mehrheit erlangt hatte: 103 von 200 Sitzen. Nachdem sie durch das Gesetz vom 5. Juni den Sejm für souverän erklärt hatte, ausgenommen in Fragen der Armee und der Außenpolitik, wandte sich die finnländische Sozialdemokratie "an die Bruderparteien Rußlands" um Beistand. Der Appell aber war an eine ganz falsche Adresse gerichtet. Die Provisorische Regierung trat anfangs beiseite und überließ es den "Bruderparteien", zu handeln. Eine Ermahnungsdelegation mit Tschcheidse an der Spitze kehrte aus Helsingfors unverrichteter Dinge zurück. Nun beschlossen die sozialistischen Minister Petrograds Kerenski, Tschernow, Skobeljew, Zeretelli, die sozialistische Regierung in Helsingfors gewaltsam zu liquidieren. Der Generalstabschef des Hauptquartiers, Monarchist Lu-komski, warnte die Zivilbehörden und die Bevölkerung Finnlands, daß "ihre Städte und in erster Reihe Helsingfors vernichtet werden würden im Falle irgendeines Vorgehens gegen die russische Armee". Nach solcher Einleitung löste die Regierung durch ein feierliches Manifest, das sogar in stilistischer Hinsicht ein Plagiat an der Monarchie war, den Sejm auf und stellte am Tage des Beginns der Offensive an der Front vor die Tore des finnländischen Parlaments aus der Front herausgezogene russische Soldaten. So bekamen die revolutionären Massen Rußlands auf dem Wege zum Oktober keine üble Lektion hinsichtlich dessen, welch bedingten Platz die Prinzipien der Demokratie im Kampfe der Klassenkräfte einnehmen.
Angesichts der nationalistischen Zügellosigkeit der Regierenden nahmen die revolutionären Truppen in Finnland eine würdige Position ein. Der in der ersten Septemberhälfte in Helsingfors tagende Distriktkongreß der Sowjets erklärte: "Sollte es die finnländische Demokratie als notwendig erachten, die Tagung des Sejm wieder aufzunehmen, wird der Kongreß jeden Versuch, dies zu verhindern, als konterrevolutionären Akt betrachten." Das bedeutete ein direktes Angebot militärischer Hilfe. Aber den Weg des Aufstandes zu betreten, dazu war die finnländische Sozialdemokratie, in der versöhnlerische Tendenzen überwogen, nicht geneigt. Neuwahlen, die unter Androhung einer abermaligen Auflösung erfolgten, sicherten den bürgerlichen Parteien, mit deren Zustimmung die Regierung den Sejm aufgelöst hatte, eine kleine Mehrheit: 108 von 200.
Nun aber rücken auf den ersten Platz innere Fragen, die in dieser Schweiz des Nordens, dem Lande der Granitberge und habgierigen Besitzer, unabwendbar zum Bürgerkrieg führen. Die finnländische Bourgeoisie bereitet halboffen ihre Militärkader vor. Gleichzeitig werden geheime Zellen der Roten Armee geschaffen. Die Bourgeoisie wendet sich um Waffen und Instrukteure an Schweden und Deutschland. Die Arbeiterschaft findet Unterstützung bei den russischen Truppen. Zugleich verstärkt sich in den bürgerlichen Kreisen, gestern noch zu Verständigung mit Petrograd geneigt, die Bewegung für vollständige Lostrennung von Rußland. Die führende Zeitung Huvudstatsbladet schrieb: "Das russische Volk ist von anarchistischer Zügellosigkeit besessen ... Müssen wir nicht unter diesen Umständen ... uns gegen dieses Chaos möglichst
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