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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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abgrenzen?" Die Provisorische Regierung sah sich gezwungen, auf Konzessionen einzugehen, ohne die Konstituierende Versammlung abzuwarten: Am 23. Oktober wurden "im Prinzip" die Leitsätze über die Unabhängigkeit Finnlands, ausgenommen in militärischen und außenpolitischen Angelegenheiten, beschlossen. Doch die "Unabhängigkeit" aus Kerenskis Händen war nicht mehr viel wert: bis zu seinem Sturze blieben zwei Tage.
    Ein zweiter, unvergleichlich gewaltigerer Splitter wurde die Ukraine. Anfang Juni verbot Kerenski den von der Rada einberufenen ukrainischen Armeekongreß. Die Ukrainer unterwarfen sich nicht. Um das Ansehen der Regierung zu retten, legalisierte Kerenski nachträglich den Kongreß und schickte ein vielverheißendes Telegramm, das von den Versammelten mit unehrerbietigem Lachen aufgenommen wurde. Die bittere Erfahrung hinderte Kerenski nicht, drei Wochen später den muselmanischen Militärkongreß in Moskau zu verbieten. Die demokratische Regierung hatte es ai-scheinend eilig, den unzufriedenen Nationen zu suggerieren: Ihr bekommt nur, was ihr entreißt.
    In ihrem am 10. Juni erschienenen ersten Universal klagte die Rada Petrograd des Widerstandes gegen die nationale Selbständigkeit an und verkündete: "Von nun an werden wir uns unser Leben selbst gestalten." Die ukrainischen Führer wurden von den Kadetten wie deutsche Agenten behandelt. Die Versöhnler wandten sich an die Ukrainer mit sentimentalen Ermahnungen. Die Provisorische Regierung entsandte nach Kiew eine Delegation. In der erhitzten ukrainischen Atmosphäre waren Kerenski, Zeretelli und Tereschtschenko gezwungen, der Rada einige Schritte entgegenzukommen. Aber nach der Juliniederschlagung der Arbeiter und Soldaten drehte die Regierung auch in der ukrainischen Frage das Steuer nach rechts. Am 5. August beschuldigte die Rada mit erdrückender Stimmenmehrheit die Regierung, sie habe, "durchdrungen von imperialistischen Tendenzen der russischen Bourgeoisie", das Abkommen vom 3. Juli verletzt. "Als die Regierung ihren Wechsel einlösen sollte", erklärte das Haupt der ukrainischen Regierung, Winnit-schenko, "stellte sich heraus, daß die Provisorische Regierung ein kleiner Mogler ist, der durch einen Gaunertrick ein großes historisches Problem beseitigen wollte." Diese unzweideutige Sprache charakterisiert zur Genüge die Autorität der Regierung sogar in jenen Kreisen, die ihr politisch nahestehen mußten: Letzten Endes unterschied sich der ukrainische Versöhnler Winnitschenko von Kerenski nur so, wie sich ein mittelmäßiger Romancier von einem mittelmäßigen Advokaten unterscheidet.
    Allerdings veröffentlichte die Regierung schließlich im September eine Urkunde, die den Nationalitäten Rußlands das Recht auf "Selbstbestimmung" - in den von der Konstituierenden Versammlung festzulegenden Grenzen - zuerkannte. Aber dieser durch nichts garantierte und innerlich widerspruchsvolle, in allem, außer in seinen Einschränkungen, höchst unbestimmte Wechsel auf die Zukunft flößte niemand Vertrauen ein: Die Taten der Provisorischen Regierung schrien schon zu laut gegen sie.
    Am 2. September beschloß der Senat, der gleiche, der zu seinen Sitzungen neue Mitglieder nicht ohne die alte Uniform zulassen wollte, die Veröffentlichung der von der Regierung bestätigten Instruktion an das ukrainische Generalsekretariat, das heißt an das Kiewer Ministerkabinett, zu verweigern. Begründung: über ein Sekretariat existiere kein Gesetz, einer illegalen Institution aber dürfe man keine Instruktionen erteilen. Die hervorragenden Juristen verheimlichten nicht, daß das ganze Abkommen der Regierung mit der Rada eine Usurpation der Rechte der Konstituierenden Versammlung sei: unbeugsamste Anhänger der reinen Demokratie waren inzwischen die zaristischen Senatoren geworden. Indem sie so viel Mut an den Tag legten, riskierten die Oppositionellen von rechts durchaus nichts: sie wußten; daß ihre Opposition den Regierern aus der Seele gesprochen war. Wenn sich die russische Bourgeoisie abzufinden vermochte mit einer gewissen Selbständigkeit Finnlands, das mit Rußland nur durch schwache ökonomische Bande verknüpft war, so konnte sie sich jedoch niemals einverstanden erklären mit der "Autonomie" des ukrainischen Getreides, der Do-nezkohle und des Kriworoger Eisenerzes.
    Am 19. Oktober befahl Kerenski telegraphisch den Generalsekretären der Ukraine, "unverzüglich nach Petrograd abzureisen zur persönlichen Aussprache" über die von ihnen eingeleitete

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