Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Matrosenabteilungen an Zahlenstärke. Der Roten Garde an Übung. Die Arbeiter zusammen mit den Seeleuten brachten Energie, Kühnheit, Schwung hinein. Die Regimenter der Garnison bildeten eine wenig bewegliche Reserve, die durch Zahl imponierte und durch Masse erdrückte.
Tagein, tagaus mit den Arbeitern, Soldaten und Matrosen in Berührung kommend, legten sich die Bolschewiki klar Rechenschaft ab über die tiefen qualitativen Unterschiede in den Bestandteilen jener Armee, die in den Kampf zu führen ihnen bevorstand. Auf der Berechnung dieser Unterschiede baute sich auch in hohem Maße der Aufstandsplan auf.
Die soziale Kraft des anderen Lagers bildeten die besitzenden Klassen. Das heißt sie bildeten seine militärische Schwäche. Die soliden Männer des Kapitals, der Presse, des Katheders, wo und wann hatten sie gekämpft? Die Resultate der Kämpfe, die ihr Schicksal entschieden, waren sie gewohnt telephonisch oder telegraphisch zu erfahren. Und die jüngere Generation, Söhne, Studenten? Sie waren fast durchwegs der Oktoberumwälzung feind. Doch in ihrer Mehrzahl warteten sie, gemeinsam mit den Vätern, beiseitestehend den Ausgang der Kämpfe ab. Ein Teil schloß sich später den Offizieren und Junkern an, die sich auch früher im hohen Maße aus der Studentenschaft rekrutiert hatten. Volk stand hinter den Besitzenden nicht. Arbeiter, Soldaten, Bauern kehrten sich gegen sie. Der Zusammenbruch der Versöhnlerparteien bedeutete, daß die besitzenden Klassen ohne Armee geblieben waren.
Entsprechend der hohen Bedeutung der Eisenbahnschienen im Leben moderner Staaten nahm in den politischen Berechnungen beider Lager einen großen Platz die Frage der Eisenbahner ein. Die hierarchische Zusammensetzung des Dienstpersonals gab einer außerordentlichen politischen Buntheit Raum und schuf somit günstige Bedingungen für die Diplomaten des Versöhnlertums. Die spät entstandene Eisenbahner-Gewerkschaft (Wikschel) hatte unter den Angestellten und sogar unter den Arbeitern viel festere Wurzeln als zum Beispiel die Armeekomitees an der Front. Mit den Bolschewiki ging nur eine Minderheit der Eisenbahner, hauptsächlich die Depot- und Werkstättenarbeiter. Nach dem Bericht von Schmidt, einem der bolschewistischen Führer der Gewerkschaftsbewegung, standen der Partei am nächsten die Eisenbahner der Petrograder und Moskauer Knotenpunkte.
Aber auch unter der versöhnlerischen Masse der Angestellten und Arbeiter vollzog sich eine schroffe Wendung nach links mit dem Augenblick des Eisenbahnerstreiks Ende September. Die Unzufriedenheit mit dem Wikschel, der sich durch Lavieren kompromittiert hatte, wuchs von unten immer entschiedener an. Lenin vermerkte: "Die Armeen der Eisenbahn- und Postangestellten verharren in scharfem Konflikt mit der Regierung." Vom Standpunkte der unmittelbaren Aufgaben des Aufstandes genügte dies beinahe.
Weniger günstig verhielt sich die Sache im Post- und Telegraphenamt. Nach den Worten des Bolschewiken Bokij "sitzen an den Telegraphenapparaten meist Kadetten". Doch das untere Personal stellte sich auch hier in feindlichen Gegensatz zu den Oberschichten. Unter den Briefträgern bestand eine Gruppe, bereit, im heißen Augenblick das Amt zu besetzen.
Alle Eisenbahn- und Postangestellten durch Worte umzustimmen, wäre jedenfalls ein hoffnungsloses Unternehmen gewesen. Bei Unentschlossenheit der Bolschewiki würden das Übergewicht die Kadetten- und Versöhnlerspitzen behalten haben. Bei entschlossener revolutionärer Führung mußten die unteren Schichten die Zwischengruppen unweigerlich mitreißen und die Spitze des Wikschel isolieren. Für revolutionäre Berechnungen genügt die Statistik allein nicht: es ist der Koeffizient der lebendigen Tat erforderlich.
Die Gegner des Aufstandes in den Reihen der bolschewistischen Partei selbst fanden immerhin Grund genug für pessimistische Schlußfolgerungen. Sinowjew und Kamenjew warnten vor Unterschätzung der gegnerischen Kräfte. "Es entscheidet Petrograd, in Petrograd aber besitzen die Feinde ... bedeutende Kräfte: fünftausend Junker, vorzüglich bewaffnet und im Schlagen geübt, dann der Stab, dann die Stoßbrigadler, dann die Kosaken, dann ein bedeutender Teil der Garnison, dann eine sehr beträchtliche, fächerartig um Petrograd gruppierte Artillerie. Ferner werden die Gegner bestimmt versuchen, mit Hilfe des Zentral-Exekutivkomitees Truppen von der Front heranzubringen ..." Die Aufzählung klingt imposant, es ist aber nur eine Aufzählung. Ist die
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