Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
ließ sie an diese nicht heran: zum erstenmal seit den Februartagen stellte sich zwischen Arbeiter und Soldat der Junker oder Offizier.
Die Versöhnler begrüßten freudestrahlend die ankommenden Regimenter. In einer Versammlung von Vertretern der Truppenteile deklamierte derselbe Wojtinsky in Gegenwart einer großen Anzahl von Offizieren und Junkern pathetisch: "Nun marschieren durch die Milljonnaja-Straße Truppen und Panzerwagen in die Richtung zum Schloßplatz, um sich unter den Befehl des Generals Polowzew zu stellen. Dies ist unsere reale Kraft, auf die wir uns stützen." Als politische Deckung wurden dem Kreiskommandierenden vier sozialistische Assistenten beigeordnet: Awksentjew und Goz vom Exekutivkomitee, Skobelew und Tschernow von der Provisorischen Regierung. Aber dies rettete den Kommandierenden nicht. Kerenski prahlte später vor den Weißgardisten, er habe, in den Julitagen von der Front zurückgekehrt, General Polowzew "wegen seiner Unentschlossenheit" entlassen.
Jetzt konnte man endlich die so lange vertagte Aufgabe lösen: das Wespennest der Bolschewiki im Hause Kschessins-kaja auszuräuchern. Im öffentlichen Leben überhaupt und in Zeiten der Revolution insbesondere erlangen mit unter große Wichtigkeit zweitrangige Tatsachen, die durch ihre symbolische Bedeutung auf die Phantasie wirken. So gewann einen unverhältnismäßig großen Platz im Kampfe gegen die Bolschewiki die Frage nach Lenins "Expropriation" der Villa der Kschessinskaja, einer Hofballerina, berühmt nicht so sehr durch ihre Kunst als durch ihre Beziehungen zu den männlichen Vertretern der Romanowschen Dynastie. Ihre Villa war die Frucht dieser Beziehungen, deren Fundament offenbar Nikolaus II. noch in seiner Eigenschaft als Thronfolger gelegt hatte. Vor dem Kriege klatschten die Bürger über die dem Winterpalais gegenüberliegende Stätte des Luxus, der Sporen und Brillanten, mit einem Anflug neidischer Ehrfurcht; während des Krieges sagte man häufiger "zusammengestohlen"; die Soldaten drückten sich noch präziser aus. Sich der Altersgrenze nähernd, verlegte sich die Ballerina auf die patriotische Laufbahn. Der offenherzige Rodsjan-ko erzählt darüber: "... der Höchstkommandierende (Großfürst Nikolai Nikolajewitsch) erwähnte, ihm seien Beteiligung und Einfluß der Ballerina Kschessinskaja in Angelegenheiten der Artillerie bekannt, durch sie hätten verschiedene Firmen Lieferungen erhalten." Es ist nicht verwunderlich, daß nach der Umwälzung das vereinsamte Palais der Ksches-sinskaja im Volke keine freundlichen Gefühle auslöste. Während die Revolution eine unstillbare Nachfrage nach Räumen erzeugte, wagte die Regierung nicht, auf irgendein Privatgebäude Beschlag zu legen. Requisitionen von Bauernpferden für den Krieg ist eines. Requisition leerstehender Villen für die Revolution - etwas ganz anderes. Aber die Volksmassen waren nicht dieser Meinung.
Auf der Suche nach einem passenden Raum für sich stieß die Reserve-Panzerdivision in den ersten Märztagen auf die Villa Kschessinskaja und besetzte sie: die Ballerina besaß eine gute Garage. Dem Petrograder Komitee der Bolschewiki überließ die Division gerne das obere Stockwerk. Die Freundschaft der Bolschewiki mit den Panzerautomobilisten ergänzte ihre Freundschaft mit den Maschinengewehrschützen. Die wenige Wochen vor Lenins Ankunft erfolgte Besetzung des Palais war anfangs kaum beachtet worden. Die Entrüstung über die Expropriateure wuchs mit dem Einfluß der Bolschewiki. Die Zeitungsplaudereien, wonach Lenin sich im Boudoir der Ballerina niedergelassen habe oder die gesamte Einrichtung der Villa ausgeplündert und zerrissen sei, waren einfach Erfindungen. Lenin lebte in der bescheidenen Wohnung seiner Schwester, während die Einrichtung der Ballerina von dem Hauskommandanten weggeräumt und versiegelt worden war. Suchanow, der das Palais am Tage der Ankunft Lenins besuchte, hinterließ eine nicht uninteressante Beschreibung des Hauses. "Die Gemächer der berühmten Ballerina hatten ein recht seltsames und ungereimtes Aussehen. Die auserlesenen Zimmerdecken und Wände harmonierten schlecht mit dem einfachen Mobiliar, primitiven Tischen, Stühlen und Bänken, in aller Eile für Arbeitszwecke aufgestellt. Möbel gab es überhaupt nur wenig. Das Mobiliar der Kschessinskaja war irgendwohin weggeräumt worden ..." Behutsam die Frage der Panzerdivision umgehend, schilderte die Presse Lenin als den Schuldigen an der bewaffneten Einnahme des Hauses einer
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