Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
besorgt. Zum Glück ist der Wikschel kein unumschränkter Herr der Verkehrswege. Im Lande gehören die Eisenbahner den Lokalsowjets an. Schon hier, auf dem Kongreß, ruft das Ultimatum des Wikschel Zurückweisung hervor. "Die gesamte Eisenbahnermasse unseres Gebiets", sagt der Delegierte von Taschkent, "ist für die Übergabe der Macht an die Sowjets." Ein anderer Vertreter der Eisenbahnarbeiter nennt den Wikschel eine "politische Leiche"; Das ist wohl übertrieben. Gestützt auf die recht zahlreiche Oberschicht der Eisenbahnangestellten hat der Wikschel mehr Lebenskräfte behalten als andere Spitzenorganisationen der Versöhnler. Doch gehört er zweifellos zum gleichen Typus wie die Armeekomitees oder das Zentral-Exekutivkomitee. Seine Planetenbahn ist im rapiden Niedergang. Die Arbeiter grenzen sich überall von den Angestellten ab. Die unteren Angestellten stehen in Gegensatz zu den oberen. Das anmaßende Ultimatum des Wikschel wird diese Prozesse unausbleiblich beschleunigen. Nein, nicht die Stationsvorsteher werden den Zug der Oktoberrevolution aufhalten!
"Es kann keine Rede sein von der Unrechtmäßigkeit des Kongresses", erklärt autoritativ Kamenjew. "Das Quorum des Kongresses ist nicht von uns bestimmt worden, sondern vom alten Exekutivkomitee ... Der Kongreß ist das oberste Organ der Arbeiter- und Soldatenmassen!" Einfacher Übergang zur Tagesordnung!
Der Rat der Volkskomm issare ist mit erdrückender Mehrheit bestätigt. Awilows Resolution vereinte nach der außerordentlich freigebigen Schätzung Suchanows etwa hundertfünfzig Stimmen, hauptsächlich linker Sozialrevolutionäre. Der Kongreß bestätigt danach einmütig die Zusammensetzung des neuen Zentral-Exekutivkomitees: von 101 Mitgliedern -62 Bolschewiki, 29 linke Sozialrevolutionäre. Das Zentral-Exekutivkomitee soll später durch Vertreter der Bauernsowjets und der neu zu wählenden Armeeorganisationen ergänzt werden. Den Fraktionen, die den Sowjet verlassen haben, wird anheimgestellt, ihre Delegierten in das Zentral-Exekutivkomitee auf der Grundlage der Proportionalität zu entsenden.
Die Tagesordnung des Kongresses ist erschöpft. Die Sowjetmacht geschaffen. Sie hat ein Programm. Man kann an die Arbeit gehen, an der kein Mangel ist. Um 5 Uhr 15 morgens schließt Kamenjew den Konstituierenden Kongreß des Sowjetregimes. Zu den Bahnhöfen! Nach Hause! An die Front, in die Fabriken und Kasernen, in die Bergwerke und fernen Dörfer! Mit den Kongreßdekreten werden die Delegierten die Hefe der proletarischen Umwälzung in alle Enden des Landes tragen.
An diesem Morgen schrieb das Zentralorgan der bolschewistischen Partei, das wieder den alten Namen Prawda angenommen hatte: "Sie wollen, daß wir allein die Macht übernehmen, daß wir allein mit den furchtbaren Schwierigkeiten, die vor dem Lande stehen, fertig werden ... Nun, wir übernehmen die Macht allein, gestützt auf die Stimme des Landes und in Erwartung der freundschaftlichen Hilfe des europäischen Proletariats. Aber im Besitze der Macht, werden wir gegen die Feinde der Revolution und gegen deren Saboteure den eisernen Fausthandschuh anwenden. Sie haben von der Diktatur Kornilow geträumt ... Wir geben ihnen die Diktatur des Proletariats ..."
L. Trotzki
Fußnote von Trotzki
1. Es handelte sich wohl um Martow, dem Trotzki antwortete.
Nachwort
In der Entwicklung der russischen Revolution, gerade weil es eine wahrhafte Volksrevolution ist, die Millionen und Abermillionen in Bewegung brachte, läßt sich eine bemerkenswerte Folgerichtigkeit der Etappen beobachten. Ereignisse lösen einander ab, gleichsam den Gesetzen der Schwere gehorchend. Das Kräfteverhältnis wird an jeder Etappe zweifach überprüft: zuerst zeigen die Macht ihres Vorstoßes die Massen; danach enthüllen die besitzenden Klassen, in dem Bestreben, Revanche zu nehmen, um so greller ihre Isoliertheit.
Im Februar hatten sich die Arbeiter und Soldaten Petrograds zum Aufstand erhoben - nicht nur entgegen dem patriotischen Willen aller gebildeten Klassen, sondern auch entgegen den Berechnungen der revolutionären Organisationen. Die Massen bewiesen, daß sie unüberwindlich sind. Wären sie sich dessen selbst bewußt gewesen, sie wären die Macht geworden. Doch stand an ihrer Spitze noch keine starke und autoritäre revolutionäre Partei. Die Macht geriet in die Hände der kleinbürgerlichen Demokratie, gefärbt in sozialistische Schutztönungen. Menschewiki und Sozialrevolutionäre waren unfähig, für das Vertrauen der
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