Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
durch Steigerung der Wissenschaft und Technik die Menschheit in die Hölle des Krieges und der Krise zu stürzen. Dem Sozialismus lassen die Feinde nur anderthalb Jahrzehnte, um das Paradies auf Erden zu errichten und einzurichten. Solche Verpflichtungen haben wir nicht übernommen. Solche Fristen niemals gestellt. Prozesse großer Umwandlungen müssen mit den ihnen adäquaten Maßstäben gemessen werden.
Aber das Elend, das über die lebendigen Menschen hereinbricht? Aber Feuer und Blut des Bürgerkrieges? Rechtfertigen überhaupt die Ergebnisse der Revolution die durch sie verursachten Opfer? Die Frage ist teleologisch und deshalb unfruchtbar. Mit gleichem Recht kann man angesichts der Mühen und Leiden des persönlichen Daseins fragen: lohnt es sich überhaupt, geboren zu werden? Melancholische Betrachtungen aber haben die Menschen bis jetzt, nicht gehindert, zu gebären und geboren zu werden. Sogar in der Zeit der heutigen unerträglichen Leiden greift zum Selbstmord trotz allem nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung unseres Planeten. Die Völker jedoch suchen aus den unerträglichen Schwierigkeiten einen Ausweg in der Revolution.
Ist es nicht bemerkenswert, daß über die Opfer sozialer Umwälzungen mit größter Entrüstung am häufigsten jene sprechen, die, wenn sie nicht die unmittelbaren Urheber der Opfer des, Weltkrieges waren, so doch ihn vorbereitet, gepriesen oder sich mindestens mit ihm abgefunden hatten. Wir sind an der Reihe, zu fragen: hat sich der Krieg gelohnt? was hat er ergeben? was gelehrt?
Man braucht jetzt wohl kaum bei den Behauptungen der gekränkten russischen Besitzenden zu verweilen, die Revolution habe zum kulturellen Abstieg des Landes geführt. Die von der Oktoberumwälzung gestürzte Adelskultur stellte letzten Endes nur eine oberflächliche Nachahmung der höheren Muster des Westens dar. Unerreichbar für das russische Volk, hatte sie nichts Wesentliches zum Schatze der Menschheit beigetragen.
Die Oktoberrevolution hat das Fundament zu einer neuen Kultur gelegt, berechnet für alle, und gerade darum hat sie internationale Bedeutung. Sogar wenn das Sowjetregime infolge ungünstiger Umstände und feindlicher Schläge - nehmen wir das für einen Augenblick an - vorübergehend gestürzt werden sollte, der unauslöschliche Stempel der Oktoberumwälzung würde dennoch auf der ganzen weiteren Menschheitsentwicklung verbleiben.
Die Sprache der zivilisierten Nationen hat deutlich zwei Epochen in Rußlands Entwicklung vermerkt. Wenn die Adelskultur in den Weltgebrauch solche Barbarismen hineingetragen hat wie Zar , Pogrom und Nagajka , so hat der Oktober solche Worte international gemacht wie Bolschewik, Sowjet, Pjatilletka. Das allein rechtfertigt die proletarische Revolution, nimmt man überhaupt an, daß sie einer Rechtfertigung bedarf.
Anhang zu Band 2
Außer der geschichtlichen Information zur Frage über die Theorie der "Permanenten Revolution" haben wir in diesem Anhang zwei selbständige Kapitel verlegt: "Legenden der Bürokratie" und "Sozialismus in einem Lande?" Das Kapitel "Legenden" ist der kritischen Wiederherstellung einer Reihe von Tatsachen und Episoden der Oktoberumwälzung gewidmet, die von der Epigonen-Historiographie entstellt wurden. Einer der Nebenzwecke dieses Kapitels besteht darin, träge Gehirne zu hindern, statt an eine Durcharbeitung des Tatsachenmaterial heranzugehen, sich von vornherein bei der billigen Schlußfolgerung zu beruhigen: "Die Wahrheit wird schon irgendwo in der Mitte liegen."
Das Kapitel "Sozialismus in einem Lande?" ist der wichtigen Frage in der Ideologie und dem Programm der bolschewistischen Partei gewidmet. Die von uns historisch beleuchtete Frage behält heute nicht nur ihr volles theoretisches Interesse, sondern hat in den letzten Jahren praktische Bedeutung ersten Ranges gewonnen.
Wir haben die zwei genannten Kapitel aus dem Gesamttext, dessen integralen Teil sie bilden, nur deshalb abgesondert, um jenem Leser die Sache zu erleichtern, der nicht dazu neigt, sieh mit strittigen Fragen zweiter Ordnung oder mit komplizierten theoretischen Problemen zu beschäftigen. Wenn aber der zehnte oder auch nur der hundertste Teil der Leser dieses Buches sich die Mühe nehmen wird, diesen Anhang aufmerksam zu lesen, wird sich der Autor als völlig belohnt betrachten für die von ihm ausgeführte große Arbeit: durch den nachdenkenden, fleißigen und kritischen Menschen bahnt sich die Wahrheit schließlich den Weg zu breiteren Kreisen.
Anhang
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