Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
schickte er sich an, innerhalb des Sowjets der Regierung nützlich zu sein. Von nun an erfüllt Zeretelli tatsächlich die Pflichten eines Kommissars der Bourgeoisie im Sowjetsystem. "Wären die Interessen des Landes durch die Koalition verletzt", sagte er in der Sitzung des Petrograder Sowjets, "es wäre unsere Pflicht, die Genossen aus der Regierung abzurufen." Nicht mehr davon war die Rede, die Liberalen auszuschöpfen und sie dann aus dem Weg zu räumen, wie Dan es noch vor kurzem versprochen hatte, sondern davon, nachdem man sich ausgeschöpft fühlen würde rechtzeitig selbst vom Steuer zurückzutreten. Zeretelli bereitete die restlose Machtübergabe an die Bourgeoisie vor.
In der ersten, am 6. Mai gebildeten Koalition waren die Sozialisten in der Minderheit; aber sie waren faktisch die wirklichen Herren der Lage; im Ministerium vom 24. Juli waren die Sozialisten in der Mehrheit, aber sie waren nur ein Schatten der Liberalen ... "Bei einem kleinen nominellen Übergewicht der Sozialisten", gesteht Miljukow, "gehörte das tatsächliche Übergewicht im Kabinett zweifellos den überzeugten Anhängern der bürgerlichen Demokratie." Es wäre richtiger zu sagen: des bürgerlichen Eigentums. Mit der Demokratie verhielt sich die Sache weniger klar. Im gleichen Geiste, wenn auch mit einer überraschenden Motivierung, verglich Minister Peschechonow die Koalition vom Juli mit der vom Mai: damals habe die Bourgeoisie eine Stütze von links gebraucht; jetzt, wo die Konterrevolution drohe, brauche man eine Stütze von rechts: "Je mehr Kräfte von rechts wir hinzuziehen, um so weniger werden von jenen übrigbleiben, die die Regierung angreifen könnten." Eine unvergleichliche Regel politischer Strategie: um die Belagerung einer Festung zu brechen, ist es das beste - die Tore von innen zu öffnen. Dies eben war die Formel der neuen Koalition. Die Reaktion griff an, die Demokratie wich zurück. Die in der ersten Revolutionsperiode eingeschüchterten Klassen und Gruppen erhoben das Haupt. Interessen, die man noch gestern verbarg, traten heute nach außen. Händler und Spekulanten forderten die Ausrottung der Bolschewiki und - Handelsfreiheit; sie erhoben ihre Stimme gegen alle Einschränkungen des Umsatzes, sogar auch jene, die bereits unter dem Zarismus eingeführt worden waren. Ernährungsämter, die gegen Spekulation zu kämpfen versuchten, wurden als die Schuldigen an der Lebensmittelknappheit erklärt. Man übertrug den Haß von den Ernährungsämtern auf die Sowjets. Der menschewistische Nationalökonom Gromann berichtete, daß der Feldzug der Kaufleute "sich besonders nach den Ereignissen des 3. bis 4. Juli verstärkte". Die Sowjets wurden verantwortlich gemacht für Niederlagen, Teuerung und nächtliche Plünderungen.
Beunruhigt durch die monarchistischen Ränke und in Befürchtung einer Abwehrexplosion von links schob die Regierung am 1. August Nikolaus Romanow nebst Familie nach Tobolsk ab. Am folgenden Tage wurde die neue Zeitung der Bolschewiki Rabotschij i Soldat (Arbeiter und Soldat) verboten. Von überall trafen Nachrichten ein über Massenverhaftungen von Truppenkomitees. Die Bolschewiki konnten Ende Juli ihren Parteitag nur halb illegal versammeln. Armeekongresse wurden verboten. Kongresse hielten nur jene ab, die früher still zu Hause saßen: Bodenbesitzer, Kaufleute und Industrielle, Spitzen der Kosakenschaft, Geistlichkeit, Georgsritter. Ihre Stimmen klangen einheitlich und unterschieden sich nur im Grade der Vermessenheit. Die unbestreitbare, wenn auch nicht immer sichtbare Leitung ga-hörte der Kadettenpartei.
Auf dem Handels- und Industriekongreß, der Anfang August etwa dreihundert Vertreter der wichtigsten Börsen- und Unternehmerorganisationen versammelte, hielt die Programmrede der Textilkönig Rjabuschinski, der sein Lämpchen nicht im verborgenen leuchten ließ. "Die Provisorische Regierung besaß nur den Schein der Macht ... Faktisch hatte sich eine Bande von politischen Scharlatanen breitgemacht ... Die Regierung übt einen Steuerdruck aus und besteuert in erster Linie die Handels- und Industrieklasse hart ... Ist es zweckmäßig, dem Verschwender zu geben? Ist es nicht besser, zur Rettung des Vaterlandes die Verschwender unter Vormundschaft zu stellen? ... " Und endlich die Schlußdrohung: "Der knochige Arm des Hungers und der Volksverelendung wird die Freunde der Nation bei der Gurgel pak-ken!" Der Satz vom knochigen Arm des Hungers, womit die Aussperrungspolitik verallgemeinert wurde, ist
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