Geschichte Hessens
vereinte unter dem Dach überkonfessionellen christlichen Glaubens im Nachkriegshessen zunächst höchst unterschiedlichepolitische Strömungen. Programmatisch dominierte hier weitgehend der «Frankfurter Kreis» um die Publizisten Eugen Kogon (1903–1987) und Walter Dirks (1901–1991). Gemeinsam mit anderen hessischen Demokraten der «ersten Stunde» wie Werner Hilpert (1897–1957), Walter Strauß (1900–1976) oder Heinrich von Brentano (1904–1964), dem späteren Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, focht man dort damals für einen «christlichen Sozialismus», der sich in seiner Forderung nach Planwirtschaft und Verstaatlichung der Grundindustrien weitgehend einig wußte mit entsprechenden wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen der hessischen Sozialdemokraten. Es war daher kein bloßer historischer Zufall, daß beide Parteien (die SPD errang bei der ersten Landtagswahl im Dezember 1946 einen Stimmenanteil von 42,7 %, die CDU erreichte 30,9 %) Anfang 1947 eine Große Koalition unter dem SPD-Ministerpräsidenten Christian Stock (1884–1967) bildeten, die bis 1950 Bestand hatte.
Im Unterschied zur anfänglich stark christlichsozial geprägten hessischen CDU profilierten sich die hessischen Liberalen im ersten Nachkriegsjahrzehnt als ausgesprochen national orientierte Gruppierung. Bis 1948 firmierten sie unter dem Namen «Liberal-Demokratische Partei» (LDP) und verstanden sich unter ihrem langjährigen, von 1946 bis 1956 amtierenden Landesvorsitzenden August Martin Euler (1908–1966) als eine politische Kraft, welche alte, rechtsliberale Traditionen bündelte und fortführte und damit besonders in Nordhessen viele Wähler für sich zu gewinnen vermochte. Bei der zweiten Landtagswahl im November 1950 errang die FDP im Wählerbündnis mit der Flüchtlingspartei «Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten» (BHE) einen geradezu sensationellen Stimmenanteil von 31,8 % (1946 waren es nur 15,7 % gewesen) und rangierte damit eine Zeitlang weit vor der CDU, die es 1950 nur auf 18,8 % gebracht hatte.
Vierte politische Formation des Landes waren in der frühen Nachkriegszeit die Kommunisten (KPD), die sich zunächst als radikaldemokratische Alternative zu allen bürgerlichen Kräften einschließlich der Sozialdemokraten präsentierten und beider Landtagswahl 1946 auf einen Stimmenanteil von 10,7 % kamen. Dann aber verloren sie, vor allem infolge der gewaltsamen Sowjetisierungspolitik im östlichen Teil Deutschlands, rasch an Zuspruch. Bei der Landtagswahl 1950 erreichten sie nur noch 4,7 % der Wählerstimmen und sanken damit auf die Bedeutung einer Splittergruppe herab. 1956 wurde die Partei bundesweit vom Bundesverfassungsgericht verboten.
2. Das sozialdemokratische Musterland
Die Ära Zinn.
Seit der Gründung des Landes Hessen war die SPD dort stärkste politische Kraft. Nach der Landtagswahl von 1950 konnte sie mit 44,4 % der abgegebenen Stimmen Anfang 1951 zunächst sogar eine Alleinregierung unter dem bisherigen Justizminister Georg August Zinn als Ministerpräsident bilden, der die Geschicke Hessens fast zwanzig Jahre lang (bis 1969) als weithin populärer Landesvater bestimmen sollte. In den fünf von ihm geführten Kabinetten – von 1954 bis 1966 in Koalition mit der Flüchtlingspartei GB/BHE (= Gesamtdeutscher Block / Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten) – nutzte Zinn die Chance, Hessen zu
dem
sozialdemokratischen Musterland der Bundesrepublik zu formen. Nicht selten wurden dabei eigene Akzente gesetzt und klare Kontrapunkte zu der weithin christdemokratisch dominierten politischen Kultur der frühen Bundesrepublik unter Konrad Adenauer markiert.
Frauenpolitik.
Einer dieser Akzente lag auf dem Gebiet der Frauenpolitik. Hier kam während der unmittelbaren Nachkriegszeit der Kasseler Rechtsanwältin und Stadtverordneten Elisabeth Selbert (1896–1986) (SPD) eine herausragende Bedeutung zu. Als Mitglied der
Verfassungberatenden Landesversammlung
des neugebildeten Landes Hessen war sie die einzige an der Formulierung der Hessischen Verfassung von 1946 beteiligte Frau. 1948/49 wirkte sie im
Parlamentarischen Rat
an der Ausarbeitung der westdeutschen Nachkriegsverfassung mit. Dabei widmete sie ihre gesammelte politische Energie der Durchsetzung des Gedankens der Gleichberechtigung vonMann und Frau und sorgte gegen erhebliche politische Widerstände quasi im Alleingang für die definitive Verankerung des Artikels 3 in dem am 8. Mai 1949 verabschiedeten Grundgesetz
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