Geschichte Hessens
Erzbistum Mainz und die Landgrafschaft Hessen-Thüringen. Die Erzbischöfe von Mainz als mächtigste und angesehenste Kirchenfürsten des Reiches geboten über die größte Kirchenprovinz außerhalb Italiens. Ihr weltliches Herrschaftsterritorium erstreckte sich nicht nur über ihr geistliches Jurisdiktionsgebiet, sondern bis nach Nordhessen und Thüringen, in den Rheingau, den Spessart und den Taunus. Im 13. Jahrhundert kamen Teile des Odenwalds und der Bergstraße hinzu. Kontinuierlich strebten die Mainzer Erzbischöfe nach einer Erweiterung und Abrundung ihrer räumlich unzusammenhängenden weltlichen Machtbasis in Hessen. Sie gerieten damit in Konkurrenz zum thüringischen Landgrafenhaus der
Ludowinger
, die sich in Nordhessen durch Erbschaft und Heirat ansehnliche Herrschaftsrechte verschafft hatten. 1122 konnten sie die bisher von der Familie der Gisonen regierte Grafschaft Oberhessen (Hauptort: Marburg) und im gleichen Jahr die zuletzt von der Familie der Werner innegehaltene Grafschaft Niederhessen (Hauptort: Kassel) in ihren Besitz bringen. Die Landgrafschaft der Ludowinger reichte damit – unterbrochen durch fremden Territorialbesitz – vom Rothaargebirge und vom Dilltal bis zur Saale. In den Urkunden der ludowingischen Landgrafen fand sich am Ende des 12. Jahrhunderts erstmals die neue Bezeichnung
terra Hassia
(«Land Hessen»). Der sich aus dieser machtpolitischen Konstellation des frühen 12. Jahrhunderts ergebende Dauerkonflikt zwischen den Mainzer Erzbischöfen und den Landgrafen von Hessen-Thüringen um die Vorherrschaft im Gebiet zwischen Rhein und Weser konnte endgültig erst nach schweren militärischen Niederlagen des Mainzer Erzbischofs in den Schlachten bei Fritzlar und bei Fulda 1427 zu Gunsten des landgräflichen Hauses der Ludowinger entschieden werden.
Hessisch-thüringische Verbindung
. Die länger als ein Jahrhundert, von 1122 bis 1247 dauernde Herrschaft der Thüringer Landgrafen über Ober- und Niederhessen war in erster Linie durch eine erfolgreiche Städtegründungspolitik geprägt. Marburgwurde Mittelpunkt einer neuorganisierten Territorialverwaltung und war überdies Aufenthaltsort der Landgrafenwitwe Elisabeth von Thüringen (1207–1231), deren Wirken den Höhepunkt der gemeinsamen hessisch-thüringischen Geschichte markierte. Geboren als ungarische Königstochter, war Elisabeth als Gattin Landgraf Ludwigs IV. von Hessen-Thüringen an den Eisenacher Hof gekommen und hatte dort ihre hochadlige Umgebung brüskiert, indem sie ihren Schmuck verschenkte, Aussätzige wusch und Lumpen trug. Nach dem Tod ihres Gatten ging sie 1228 nach Marburg, in den hessischen Landesteil Thüringens. Dort gründete sie ein Hospital, durchbrach in radikaler Hinwendung zum damals neu aufkommenden, durch Franz von Assisi verbreiteten Frömmigkeitsideal konsequenter Christusnachfolge endgültig alle Schranken fürstlicher Standesgebundenheit und verzehrte sich im Dienst an Armen, Kranken und Ausgestoßenen. Das bis dahin unerhörte Beispiel der bettelnden Existenz einer Fürstin, die auf allen weltlichen Glanz zu Gunsten karitativer Tätigkeit verzichtete, machte Schule und bewog zahlreiche gleichgesinnte Frauen aus sozial höhergestellten Schichten zu einem der Nächstenliebe und aufopferungsvoller Barmherzigkeit gewidmeten Lebenswandel in Demut und Armut.
3. Vom mittelalterlichen Territorium
zum dynastischen Fürstenstaat
Die Gründung Hessens
. Schon vier Jahre nach ihrem Tod – Elisabeth starb 1231, im Alter von erst 24 Jahren, körperlich aufgerieben durch Entbehrungen, Kasteiungen und, nicht zuletzt, durch Schikanen und Quälereien ihres Beichtvaters Konrad von Marburg, eines perversen Sadisten – wurde Elisabeth 1235 heiliggesprochen und genoß in den nachfolgenden Jahrhunderten außerordentliche Verehrung in allen Bevölkerungsschichten, weit über die hessischen Grenzen hinaus. Zugleich wurde sie zur postumen Begründerin der Dynastie der Landgrafen von Hessen. Mit dem Tod ihres Schwagers Heinrich Raspe, der von der päpstlichen Partei als deutscher Gegenkönig gegen den Staufer Konrad IV. aufgestellt worden war, erlosch 1247das ludowingische Landgrafenhaus im Mannesstamm. Damit begann ein erbittert geführter Kampf um das hessische Erbe. Protagonisten dieser Auseinandersetzung waren der wettinische Markgraf von Meißen Heinrich der Erlauchte, der Erzbischof von Mainz Siegfried III. von Eppstein und die Nichte des verstorbenen Landgrafen Heinrich Raspe, Herzogin Sophie von Brabant
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