Geschichte machen: Roman (German Edition)
doch wohl der Gipfel! Da hat mir doch tatsächlich irgendein Arschloch die Haare geschnitten!
Meine schönen Haare … also, es war vielleicht keine echte Hippiematte, aber meine Haare
wallten
, verstehen Sie? Sie waren unheimlich
präsent
. Und jetzt sind sie zerdrückt und tot.
Scheiße, ich steh wohl besser auf.
Genau, ich steh auf und …
… und dann?
Wir lassen mich im Bett liegen, bis ich mich wieder zusammengesetzt habe. Ich weiß nicht genau, ob ich diese Geschichte in der richtigen Reihenfolge erzähle. Sie ist, wie gesagt, von jedem Punkt aus zugänglich wie ein Kreis. Sie ist leider auch wie ein Kreis von jedem Punkt aus
un
zugänglich.
Dieselben Worte habe ich am Anfang des Kreises gebraucht. Falls ein Kreis Anfang und Ende hat. Jetzt kann ich sie nur wiederholen.
Als Historiker sollte ich, wie gesagt, imstande sein, klipp und klar von den Begebenheiten zu berichten, die sich zutrugen, als … aber wann trugen sie sich denn zu? Da besteht doch Diskussionsbedarf. Das Rätsel, das mir im Nacken sitzt, läßt sich am besten mit den folgenden Thesen formulieren.
A: Das Folgende ist nie geschehen.
B: Alles Folgende ist die reine Wahrheit.
Ich liege also da wie Keats und frage mich: »War es ein Wachtraum oder ein Phantom? Entflohn die Weise – wache, schlafe ich?« Außerdem frage ich mich, warum zum Donnerwetter Jane nicht warm eingemummelt neben mir liegt. Halt, stop, das frage ich mich nicht. Das weiß ich. Sie hat mich verlassen. Ich habe vielleicht eine lange Leitung, aber soviel weiß ich noch. Sie ist dort draußen. Sie ist Geschichte. Gut, dann frage ich mich eben, wo zum Teufel ich bin.
Inmitten meines Geistes befindet sich ein finsterer Brunnenschacht. Ich lasse Eimer hinab und schöpfe nach Wörtern, Bildern und Erinnerungsfetzen, die etwas Bekanntes ans Licht bringen, klare und kühle Gedächtnisspritzer. Wenn ich kräftig vorpumpe, sprudelt vielleicht in einer großen Fontäne alles auf einmal an die Oberfläche.
Schauen Sie, ich weiß, daß ich mehr wissen müßte, und das ärgert mich maßlos. Ich muß mich an etwas erinnern. Etwas von großer Tragweite. Aber was? Das Gedächtnis ist ein Lachs. Je fester Sie zupacken, desto mehr glitscht er Ihnen aus den Fingern. Noch so ein abgedroschener Vergleich.
Ich muß aufstehen. Alles wird mir wieder einfallen, wenn ich erst einmal stehe.
Klappt doch wie am Schnürchen. Der Kopf schmerzt vielleicht, die Eingeweide kollern, die Beine zittern, die Kehle kratzt, aber wir befinden uns alles in allem in der Vertikale. Ich habe mich seit Jahren nicht mehr übergeben und finde das Gefühl abscheulich.
Nein. Stimmt nicht. Ich
habe
mich kürzlich übergeben. Über einer Toilettenschüssel, und ein langer Speichelfaden hing hinab, der hinten im Hals festgeklebt war … war das gestern abend? Es ist noch nicht lange her. Na, wird mir schon noch einfallen.
Als nächstes … schaue ich an mir hinab und frage mich,was outfitmäßig angesagt ist. Ich erkenne weder Shorts noch T-Shirt wieder. Tut mir leid, nie gesehen. Ich würde so was nie im Leben freiwillig tragen, das ist mir … wie soll ich sagen, viel zu
sauber
. Chino-Shorts aus Baumwolle? Ich könnte schwören, daß sie sogar gebügelt waren, trotz der eingetrockneten Kotzespuren. Und dann ein
Polohemd
… zu allem Überfluß auch noch ein Polohemd aus
Sea-Island-Baumwolle
. Mit einem aufgestickten Goldlogo auf der linken Brust. Ich zerre den Stoff vor, um das Motiv besser erkennen zu können. Ein Elefant, glaube ich, obwohl das auf dem Kopf schwer zu sagen ist, ein Elefant in einer Art Schlinge. Eine von diesen Schlingen, mit denen Hafenkräne große Tiere aus dem Schiffsbauch an Land heben. Also echt, was muß das für ein Blindgänger sein, der gebügelte Chino-Shorts aus Baumwolle und dazu ein Polohemd aus Sea-Island-Baumwolle mit aufgestickten Elefanten trägt?
Mit den Schuhen kann ich leben. Stinknormale abgelatschte Timberland-Turnschuhe. Nicht ganz mein Fall, aber ich fühle mich wohl darin, fit wie ein … Sie wissen schon. Aber ich bin nun mal kein Timberland-Mann. Ich bin mit Sebago groß geworden. Ohne besonderen Grund, ich trage die einfach schon seit Ewigkeiten. Glaube ich jedenfalls.
Zeit, zum Fenster zu gehen, die Jalousie hochzuziehen und mich daran zu erinnern, wie ich hierhergekommen bin und warum. Mit Jalousien konnte ich noch nie umgehen. Ich vergesse immer, ob ich nun an der Schnur ziehen oder am Griff drehen muß. Diesmal probiere ich beides auf einmal, die
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