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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nicht, was mit mir ist, Anna Barbara. |103| Erst habe ich gar nichts essen können, und nun muß ich immerzu essen. Gib mir noch ein wenig Brot.«
    Anna Barbara aber rief: »Du weißt doch, Männlein, daß du unsere letzte Krume Brot gegessen hast. Nun haben wir nichts mehr
     zum Nachwachsen.«
    Da klagte das Männlein: »O weh! O weh! Nun muß ich gewiß sterben.« Und es fiel schwach von seinem Korken. Anna Barbara nahm
     es in die Hand, und als sie den kleinen Mann, der so lange Zeit ihr Geselle gewesen war und ihr getreulich bei aller Arbeit
     geholfen hatte, bleich und wie sterbend sah, da dachte sie nicht mehr an seine Knollennase, seinen kahlen Schädel und den
     Strubbelbart, sondern ihre Augen gingen über von herzlichen Mitleidstränen, und sie rief: »Lieber Geselle, laß mich doch nicht
     allein! Bleibe bei mir, guter Gesell!«
    Eine ihrer Tränen aber fiel auf den goldenen Taler, sie zischte auf, als sei sie auf etwas Glühendes gefallen, ein kleines
     Wölkchen stieg empor, und als es verflogen war, lag der goldene Taler fleckenlos da.
    Jubelnd rief Anna Barbara: »Lieber Geselle, wach auf! Der goldene Taler ist blank!«
    Mit schwacher Stimme fragte das Männlein: »Meinst du denn wirklich, daß ich dein lieber Geselle bin, der dich nie im Leben
     verlassen darf?«
    »Das meine ich ganz wirklich«, sagte Anna Barbara.
    »Willst du mich dann auch Liebster nennen, und darf ich dich Liebste nennen?« fragte das Männchen.
    »Jawohl will ich das und jawohl darfst du das«, antwortete Anna Barbara.
    »So gib mir darauf einen Kuß!« verlangte das Männlein.
    »Das wollte ich wohl gerne tun, Liebster«, lachte Anna Barbara. »Aber du bist ja so klein wie der Nagel an meinem Finger –
     ich habe Angst, ich werfe dich mit meinen Lippen um!«
    »Wenn es weiter nichts ist«, sagte das Männchen, »so |104| rühre mich nur einmal mit deinem goldenen Taler an.« Das tat Anna Barbara, und sofort fing das Männchen an zu wachsen und
     hörte nicht eher damit auf, bis es ebenso groß war wie Anna Barbara.
    »Wie ist es denn nun mit dem Kuß, Liebste?« lachte es und war eigentlich ganz greulich anzusehen mit seinen Spinnenarmen und
     -beinen, seiner blauen Nase und dem Kegelkugelkopf.
    Anna Barbara aber sagte: »Mein Geselle bist du ja doch, wenn du auch greulich anzusehen bist«, und gab ihm einen Kuß. Unter
     dem Kuß aber spürte sie, wie sich das Männlein verwandelte, und als sie es losließ, stand ein schöner, junger Mann vor ihr
     und sah sie lächelnd an.
    »Ja, ich bin das Männlein aus dem Putzwasser«, sprach er. »Und du hast mich erlöst, Anna Barbara. Wie du war auch ich auf
     der Suche nach dem goldenen Taler, fiel in die Hände des bösen Hans Geiz und mußte für ihn putzen. Aber ich hatte nicht deine
     Geduld, putzte nur weniges und das schlecht. Da hat er mich zur Strafe ins Putzwasser gesteckt und zum alten Putzwassermännlein
     gemacht. – Nun aber nimm deinen goldenen Taler in die Hand, und ich nehme meine Flasche mit Putzwasser – wir wollen machen,
     daß wir endlich wieder die liebe Sonne schauen.«
    Damit gingen sie an die Tür, und Anna Barbara klopfte mit ihrem goldenen Taler dagegen. Da flogen die Riegel zurück, und die
     Schlösser sprangen auf, und sie konnten hindurchgehen. Auf der andern Seite der Tür aber stand der böse Hans Geiz, gelber
     und dürrer als je, und sprach: »Du darfst gehen, Anna Barbara, denn du hast alles getan, was du tun solltest. Aber deinen
     Liebsten mußt du hierlassen, der darf nicht hinaus.«
    »Wenn er hierbleiben muß, so bleibe ich auch hier«, sprach Anna Barbara mit fester Stimme. Ihr Liebster aber rief: »Laß mich
     nur machen!« Und er spritzte aus dem Fläschchen Wasser in das Gesicht von Hans Geiz. Da |105| schrie der auf vor Schmerz: »Oh, wie das brennt und wehe tut! Lauft nur immer, ihr Dummen, an den Hunden Gier und Neid kommt
     ihr doch nicht vorbei!«
    Und sie liefen durch den langen Saal mit dem alten Gerümpel, und von ferne sahen sie die Hunde schon an ihren Ketten zerren
     und Feuer blasen. Als sie aber näher kamen, spritzte der Jüngling wieder Putzwasser aus seiner Flasche, und vor Schmerzen
     jaulend verkrochen sich die Hunde und ließen die beiden vorüber.
    Nun aber standen sie in dem kleinen Vorraum, von dem der dunkle Schacht himmelhoch hinaufging, und ganz oben sahen sie einen
     kleinen blauen Fleck, das war der liebe Himmel, den sie so lange nicht gesehen. Es gab aber keine Tür aus dem Vorraum und
     keine Treppe den

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