Geschichten aus der Murkelei
Boden, sondern nur Goldgeld. Sie putzte es und sprach dann traurig
zum Männlein, das auch traurig und bleich auf seinem Korken saß: »Nun habe ich alles Gold in diesem Keller blank geputzt,
und meine Dienstzeit ist herum. Aber es hat keine Glocke auf dem Faßboden gelegen, so daß ich den Hans Geiz nicht rufen kann,
damit er uns aufschließt. Und den goldenen Taler hat mir mein Herz auch nicht verraten.«
Antwortete darauf das Männlein betrübt: »Ich kann dir auch nicht raten und helfen. Aber vielleicht hat Hans Geiz den goldenen
Taler listig versteckt – suche doch einmal.«
Da machte sich Anna Barbara ans Suchen, aber so emsig sie auch jedes Eckchen und Fleckchen im Keller durchstöberte, sie fand
den goldenen Taler nicht.
|101| Als sie sich nun ganz trostlos an den Tisch setzte, sprach das Männlein: »Ich habe Hunger, Anna Barbara, gib mir ein Bröckchen
Brot.«
Sagte Anna Barbara: »Wir haben doch heute schon gegessen, Männchen. Es sind nur noch ein paar Krümlein da. Die müssen bleiben,
damit das Brot nachwächst.«
Sprach das Männlein: »Wenn du mir jetzt nicht gleich zu essen gibst, komme ich vor Hunger um und bin tot.«
Da dachte Anna Barbara: Es ist ja nun doch gleich, da ich den goldenen Taler nicht gefunden habe. So ist ja alles doch umsonst
gewesen, und ich will ihm gerne die letzten Krumen geben, daß er noch einmal satt wird. Morgen müssen wir dann freilich verhungern.
Und sie steckte ihm die letzten Krümlein in den Mund.
Froher schlug das Männlein die Augen auf und fing eifrig an, das nahrhafte Brot zu kauen. Plötzlich aber verzog es das Gesicht
im Schmerz, griff in den Mund und schrie: »O weh, mein Zahn! Was ist denn da für ein harter Kiesel im Brot –?!«
Und aus dem Munde brachte es etwas, das sah aus wie ein gelbes Steinchen. Als das Männchen es aber in den Händen hielt, fing’s
an zu wachsen. Schon wurde es ihm zu schwer, hellklingend fiel es auf den Tisch. Hastig griff Anna Barbara danach und hielt
es in den Händen. Sie sah’s mit Herzklopfen an und rief freudig: »Das ist mein goldener Taler, ich spüre es, mein Herz sagt
es mir! Im Brot, in unserm letzten Restchen Brot hat ihn der böse Hans Geiz versteckt, daß wir ihn nur nicht finden!«
Und auch das Männchen wurde nicht müde, den goldenen Taler zu betrachten, und rief: »Jetzt haben wir es, das saubere Goldfellchen.
Oh, wie es gleißt und blitzt! Schnell, putze, Anna Barbara! Sieh doch, was ist da noch für ein böser, roter Fleck!«
Anna Barbara hatte den häßlichen roten Fleck auch schon gesehen, geschwind nahm sie das Tüchlein, goß Putzwasser |102| darauf und fing an zu reiben und zu putzen, daß ihr warm ward. Aber – o weh! – je mehr sie rieb, um so röter ward der Fleck,
ja, es war ganz, als riebe sie ihn immer breiter über den goldenen Taler hin. Schließlich ließ sie müde die Arme sinken und
sprach: »Ich schaffe es nicht. Der Fleck läßt sich nicht wegreiben.«
Da sagte das Männlein eifrig: »Gib nur nicht den Mut auf! Gleich fahre ich in die Flasche und bereite dir das schärfste Putzwasser,
das es je gegeben hat.«
Und es stieg in die Flasche, und es braute, wallte, wogte und werkte darin, es spülte und trieb um, es mischte und es stieg
auf und nieder, daß es brodelte und dampfte. Schließlich kam es wieder heraus, setzte sich müde auf den Flaschenpfropfen und
sprach: »Nun putze, Anna Barbara, besseres Putzwasser kann ich nicht bereiten.«
Anna Barbara goß von dem Wasser auf ihr Läppchen und rieb, und – siehe! – der Fleck wurde heller, und jubelnd rief sie: »Es
gelingt! Er wird blank!«
Aber als sie das Läppchen wieder fortnahm, war es, als ginge eine Wolke über den goldenen Taler, und er war wieder fleckig.
Da rief sie traurig: »Es fehlt noch ein kleines bißchen an deinem Wasser, Männlein – weißt du denn nicht, was?«
Sagte das Männlein traurig: »Ich habe alles hineingetan, was hineingetan werden muß – wenn noch etwas fehlt, mußt du es hineintun.
Weißt du denn nicht, was?«
Antwortete Anna Barbara: »Ich weiß nichts.« Es war ihr aber, als müsse sie wissen, was dem Putzwasser noch fehlte, als falle
es ihr nur nicht ein. Das Männlein aber sagte betrübt: »So hilft uns auch der goldene Taler nicht zur Freiheit!«
Da saßen sie beide still und betrübt am Tisch, alle lange Arbeit war umsonst getan, sie kamen doch nicht hinaus. Nach einer
Weile aber sprach das Männchen mit schwacher Stimme: »Ich weiß
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