Geschichten von der Bibel
– Vom Traum des Pharaos – Von einem goldenen Hellseher – Von der eigenen Idee des Pharaos – Vom Pöbel – Von einem Knaben in einem Körbchen
Zu jener Zeit bestieg Malul den ägyptischen Pharaonenthron. Er war der Enkel jenes weisen und gütigen Pharaos, der einst Josef, den Israeliten, zum Vizekönig gemacht und dessen Volk ins Land geholt hatte. Malul hatte seinen Großvater nicht gekannt. Er hatte von ihm nur aus Erzählungen gehört. Man erzählte von dem großen Mann, alle erzählten von ihm, und sie taten es mit gesenktem Blick, wie sie zeit seines Lebens mit ihm gesprochen hätten, als wäre sein Geist allgegenwärtig.
Malul genoß eine besonders sorgfältige Erziehung, sein Vater wünschte, daß der Geist des großen Ahnen über das Kind komme, und im Geiste dieses Ahnen wurde Malul erzogen.
»Dein Großvater hat …« So begann jede Schulstunde, ganz gleich, ob der Lehrer nun Geographie oder Geschichte, ob er Geometrie und Arithmetik oder ob er die schönen Künste durchnehmen wollte. »Dein Großvater hat …«
Dem Enkel erschien dieser Mann bald als Inkarnation all dessen, was von ihm erwartet wurde, und zugleich aber auch als Inkarnation all dessen, was er mit Sicherheit nicht erfüllen zu können glaubte. Wen wundert’s – als Malul ein junger Mann geworden war, war aus dem Vorbild ein Feindbild geworden.
Maluls Vater hatte an der Politik der friedlichen Koexistenz nichts geändert, so war es den Menschen, die am Nil lebten, gleich ob Ägypter oder Israelit, möglich gewesen, die Früchte eines gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwungs zu genießen. Dann, kurz vor dem Krieg gegen die Edomiter, starb Maluls Vater. Er war ein guter Pharao gewesen. Er beließ alles so, wie er es bei seinem Machtantritt vorgefunden hatte. Er galt als Philosoph.
»Etwas Gutes wird meistens schlechter, wenn man es besser machen will.«
Das war sein kategorischer Imperativ. An dem Tag, an dem sein Sohn die erste Frage stellte, übergab er ihn postwendend den Lehrern. Besser als die konnte es keiner machen. Seinem kategorischen Imperativ zu Ehren ließ der Pharao Vaterliebe nicht aufkommen.
Malul hatte eine Amme, die liebte ihn. Sie liebte ihn, ohne etwas von ihm zu erwarten. Sie wußte, er würde eines Tages Pharao werden. Der Lebensweg eines Pharaos ist nicht der Lebensweg eines Menschen. Pharao ist die Vorexistenz eines Gottes. Ein Gott aber geht auf keinem Lebensweg, er selbst ist der Weg. Die Amme gab keine Ratschläge und wußte keine Antworten, sie befragte ihre Träume und erzählte Geschichten, und es waren Geschichten, in denen nicht irgendein mächtiger Großvater die Hauptrolle spielte, sondern einfache Geschichten von einfachen Leuten.
Wenn Malul seine Schulstunden hinter sich gebracht hatte, rief er seine Amme und sagte: »Erzähl mir eine Geschichte!«
»Was für eine Geschichte willst du hören?« fragte sie dann.
Und immer sagte er: »Eine lustige Geschichte.«
Malul hatte nämlich sehr bald erkannt, daß es nur ein Gebiet gab, auf dem weder sein Vater und schon gar nicht sein Großvater Nennenswertes zu bieten hatten, nämlich der Humor. Das Feld des Humors aber ist weit und bietet vieles. Witze mit tieferem Sinn interessierten Malul wenig, Ironie verstand er nicht, und wo der Humor einfach Ausdruck von Lebensfreude war, dort fand er nichts, was ihn komisch oder lustig oder auch nur erheiternd dünkte. Seine Vorliebe galt den Albernheiten. Und weil seine Amme ihn liebte, suchte sie in ihrem Schlaf nach albernen Träumen und erzählte ihrem Liebling alberne Geschichten.
Malul war ein junger Mann, als er Pharao wurde, erst achtzehn Jahre war er alt, was für das Land und die Menschen kein Problem war – oder kein Problem gewesen wäre, wenn er die Ratschläge seiner Minister befolgt hätte. Unter seinem Großvater, dem Weisen, Gütigen, war ein breites Regierungsgremium gebildet worden, denn der Pharao war der Meinung, aus vielen Köpfen erwachse mehr Weisheit und aus vielen Herzen mehr Güte.
»Dein Großvater hat …«, sagten nun auch die Minister, und alle Vorschläge, die sie dem jungen Pharao unterbreiteten, begannen mit ebendieser Formel. Malul ärgerte das, und so ließ er kurzerhand die Nennung des Namens seines Großvaters unter Strafe stellen. Er sei ein zu großer Mann gewesen, als daß jeder Beliebige seinen Namen im Mund mit irgendwelchen alten Essensresten herumwälzen dürfe, so argumentierte er zum bassen Erstaunen der Minister – und befahl dann auch gleich,
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