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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Und daß dieser Haß eine Saite in seiner Seele schmerzlich gespannt hatte, und es war ihm, als wäre er nie erlöst worden von diesem Haß, und er dachte bei sich: Nun, endlich, besteht eine Möglichkeit, daß ich mich von diesem alten, unerlösten Haß befreie. Dieser Bürger schlich sich am Abend mit einem Messer im Ärmel aus dem Haus, und er schlich zu seinem Nachbarn, einem Israeliten, mit dem er ein Leben lang gut ausgekommen war. Er sah den Knaben des Nachbarn im Garten spielen.
    »Komm«, sagte er zu dem Kind. »Ich bringe dich in Sicherheit. Dein Vater und deine Mutter wissen Bescheid.«
    Er führte ihn zum Ufer des Nil, und in einer dunklen Ecke zwischen den Dingen, die dort auf die Schiffe verladen wurden, stieß er dem Kind das Messer ins Herz.
    Da war der alte Haß erlöst. Aber nun brannte das schlechte Gewissen. Und der Mann warf sich zu Hause auf sein Bett und weinte und konnte lange nicht einschlafen. Und am nächsten Morgen sah er, daß das Leben weiterging.
    »Jetzt habe ich es getan«, sagte er laut zu sich. »Jetzt kann ich es genausogut noch einmal tun.«
    Ägyptische Frauen nahmen ihre eigenen Kinder auf den Arm und zogen mit ihnen durch die Wohngebiete der Israeliten. Sie wußten, die hebräischen Frauen versteckten ihre Kinder in Küchenkästen und Wäschekästen, in Werkzeugtruhen und in Kellern, unter Betten und auf Dachböden, in Korntöpfen und unter Putzwolle, und sie wußten, Kinder antworten Kindern, wie eine Amsel einer anderen antwortet, und wenn ein Kind weint, weint ein anderes Kind mit, und darum zwickten sie ihre eigenen Kinder, so daß diese weinten, und wenn ein hebräisches Kind antwortete, stürmten die Frauen in das Haus, aus dem das Weinen drang. Sie überprüften, ob es ein Knabe oder ein Mädchen war, und wenn es ein Knabe war, rissen sie ihn aus der Wiege und warfen ihn in den Nil.
    Es war ein Kinderschlachten. Es war eine Lust am Bösen. Und das Wunder war: Man sah dem Mörder den Mörder nicht an, und man sah dem Anständigen die Anständigkeit nicht an.
    »Das ist ein Wunder«, sagten die Minister. »Ein Wunder, das der Pharao geschehen ließ.«
    Niemand sprach mehr von Malul als dem Lustigen. Und bald erinnerte sich auch keiner mehr daran, daß der Pharao jemals so genannt worden war.
    Lange hatte es gedauert, bis Malul endlich einen eigenen Plan gefaßt hatte. Mit fünfzehn Jahren hatte er den Pharaonenthron bestiegen, nun war er vierzig. Nun war er stolz.
    Aber ganz konnte er seinen Triumph nicht genießen. Denn seine Frau Alparanith ließ sich nicht mehr bei ihm sehen.
    Eine ihrer Dienerinnen kam und sagte: »Die Herrin will dich nicht mehr sehen, solange das Morden anhält.«
    Und die alte Amme wollte ihren Liebling auch nicht mehr sehen. Als Malul nach ihr rief, kam sie nicht.
    Und Bithja, die Tochter des Pharaos, wollte ihren Vater auch nicht mehr sehen. Aber sie schickte nicht eine Dienerin, um ihm das mitzuteilen, sie kam selbst.
    »Ich verabscheue dich«, sagte sie.
    Eines Tages war Bithja mit ihren Freundinnen unten am Nil, um am seichten Ufer zu baden, da hörte sie ein Wimmern. Man suchte, und man fand ein Körbchen. Und in diesem Körbchen lag ein Knabe.
    Da sagte Bithja: »Das ist sicher das Kind einer Hebräerin. Ich will es zu mir nehmen, ich will es beschützen, daß ihm nichts geschieht.«

AUS DEM STAMME LEVI
    Vom Geist der Erzählung – Von Antagonisten und Protagonisten – Von Erlösern im allgemeinen – Von der Perle Abrahams – Von der Wirkung, wenn einer sein Leben erzählt – Von einem, der das Glück verkaufen will – Vom Palast des Bettlers – Von einer Läuterung
     
    Bithja wird den Knaben Moses nennen. Moses wird der Erlöser werden, er wird das Volk Israel aus Ägypten führen. Und er wird es befreien von der Fron des Pharaos.
    Der Geist der Erzählung – der, spätestens seit ihn Thomas Mann beschwor, unserer Einbildung über ihre Kraft hinaus auch Legitimation zugesteht –, der Geist der Erzählung will es, daß die Helden der letzten beiden Kapitel von unserem Verstand mißbilligt und von unserem Herzen mit Empörung abgelehnt werden. Aber manchmal empfiehlt die Dramaturgie, zunächst den Antagonisten vorzustellen, damit der Protagonist der Geschichte mit noch größerer Sehnsucht herbeigewünscht wird. Wenn es sich bei dem Protagonisten obendrein um einen Erlöser handelt, empfiehlt es sich, sogar zwei Antagonisten einzuführen, weil dann erstens um so deutlicher wird, wovon der Erlöser die Menschen erlösen soll, und

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