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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Traum.«
    »Was soll ich nun tun?« fragte der Pharao.
    »Du schneidest hier einen Punkt an, der meinen dritten Beruf betrifft«, sagte Bileam ben Beor.
    »Du hast noch einen dritten Beruf?«
    »Mehrere Berufe, sagte ich. Im dritten Beruf bin ich Ratgeber. Wenn du einen Ratschlag von mir willst, mußt du bezahlen.«
    »Der Ratschlag ist in der Traumdeutung nicht inbegriffen?«
    »Nein«, sagte Bileam ben Beor, »wieso auch?«
    Das erschien Malul dann doch zu teuer.
    Er rief ein viertes Mal seine Amme.
    »Mir gehört die Welt«, sagte er.
    »Das weiß ich«, sagte die Amme.
    »Wenn du das weißt«, sagte Malul, »dann weißt du auch, daß auch deine Träume mir gehören. Also, leg dich schlafen, such nach einem Traum, der eine gute Geschichte erzählt, und sag ihm, der Pharao will die Geschichte haben!«
    Die Amme sagte: »Nein, ich habe dir drei traurige Geschichten erzählt, eine vierte werde ich dir nicht erzählen. Jedesmal hatte es zur Folge, daß Katastrophen geschehen sind, Fronarbeit, versuchter Kindermord, Feuersbrunst.«
    Da schloß sich Malul in seinen Gemächern ein, verknotete die Finger ineinander. Ging auf und ab. Knurrte und quietschte vor Zorn und Hilflosigkeit, verkroch sich unter seinem Bett und fühlte sich gedemütigt und fühlte sich wieder wie ein kleiner, alberner Mann und nicht, wie sich ein Pharao fühlen sollte.
    Das Reich war ohne Herrscher, drei Tage lang.
     
    Schließlich trat der Pharao vor seine Minister. Er sah aus wie ein Schakal, der zu aufrechtem Gehen dressiert worden war. Sein Gesicht hatte ein Fell. Drei Tage war er nicht rasiert worden.
    »Nun ist er ein Gott geworden«, flüsterten die einen.
    »Er ist Anubis geworden«, flüsterten die anderen.
    »Warum gerade Anubis?«
    »Damit er die Grabkammer seines Großvaters betreten kann.«
    »Und was wollte er dort?«
    »Den Geist seines Großvater auffressen.«
    »Und wer ist er jetzt? Anubis? Oder Malul? Oder sein Großvater?«
    »Alle drei. Anubis und Malul und der Großvater.«
    »Darf man das Wort jetzt wieder aussprechen?«
    »Man darf.«
    So tuschelten die Minister.
    Pharao Malul war in die Unterwelt seines Schlafzimmers gestiegen, anstatt den Geist seines Großvaters zu fressen, hat er auf seinen Knöcheln gekaut. Aber er hatte einen Entschluß gefaßt. Zum ersten Mal einen eigenen Entschluß. Er ließ sich weder von seiner Amme eine Geschichte erzählen, noch befragte er seine Minister, noch kaufte er sich eine Deutung von Bileam ben Beor.
    »Wenn mir niemand hilft, dann helfen mir alle«, sagte er.
    Und das meinte er damit: »Jeder Ägypter, ob Mann oder Frau, hat von nun an das Recht zu töten. Wo immer ein Ägypter oder eine Ägypterin einen israelitischen Knaben sieht, darf er oder sie diesen Knaben erschlagen. Oder erstechen. Oder aufhängen. Oder irgendwo hinunterstoßen.«
    »Ist das ein Gesetz?« fragten die Minister.
    »Nein«, sagte Malul, »es ist der Wunsch des Pharaos, und es ist ein Geschenk des Pharaos an seine Untertanen. Alle dürfen es tun.«
    »Aber nicht alle werden es tun wollen«, sagten die Minister.
    »Einige werden genügen«, sagte Malul.
    Und er hatte recht.
    Es kam eine Mode auf, eine Mode des Mordens. Da gab es einige, die fingen gleich damit an. Kaum war des Pharaos Wunsch an sein Volk öffentlich geworden, gingen sie mit Knüppeln auf die Straße und schlugen zu. Da gab es ägyptische Bürger, die Mitleid hatten und die Hände vors Gesicht warfen, als wollten sie um Hilfe schreien. Aber sie brauchten ja keine Hilfe. Sie gingen in ihre Häuser zurück und schlossen die Fenster. Dann gab es welche, die sagten sich: Zuschauen kostet nichts, nicht einmal den guten Ruf. Die verließen ihre Häuser und schauten zu. Die hebräischen Knaben liefen durch die Stadt und versteckten sich. Da gab es dann Bürger, die taten nichts, hatten keine Knüppel in der Faust, kein Messer, sie zeigten lediglich mit dem Finger dorthin, wo sich die Knaben versteckt hatten.
    Das Merkwürdige war: Das Leben ging weiter. Wer noch am Vortag Kindern auf den Schädel geschlagen hatte, bis ihm der Arm lahm wurde, verkaufte am nächsten Tag weiter sein Obst und sein Gemüse. War freundlich wie immer. Lustig wie immer. Stemmte zu Mittag die Hände in die Hüften und blinzelte in die Sonne. Und schämte sich nicht.
    Da erinnerte sich mancher Bürger daran, wie er irgendwann einmal einen brennenden Haß in sich gespürt hatte, er wußte nicht mehr auf wen und warum, er erinnerte sich nur, daß es ein brennender Haß gewesen war.

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