Geschichten von der Bibel
zweitens, weil durch die Schilderung der Gegenspieler das Auftreten des Hauptakteurs noch weiter hinausgeschoben wird, was den Zuhörer durch eine symbolisch vergleichbare Sehnsucht mit jenen Menschen verbindet, die so innig auf sein Erscheinen hoffen. – Wir haben es hier mit einer orientalischen Geschichte zu tun, und nirgends wird die Kunst des Geschichtenerzählens besser beherrscht als im Orient.
Und noch etwas: Wenn der Erlöser zudem ein Vermittler zwischen Gott und den Menschen sein soll, also ein Heros im klassisch-antiken Sinn, nämlich einer, der es uns Menschen erst möglich macht, mit der unerreichbaren Gottheit in Kontakt zu treten, dann verlangt die Dramaturgie nach einer weiteren Figur, nach noch einem Vermittler, diesmal einem, der zwischen dem Erlöser und den Menschen steht, denn der Erlöser selbst, eben weil er mit beinahe göttlichen Eigenschaften begabt, also selbst eine Art Halbgott ist, ragt so weit über die Menschen hinaus – wie könnte er sonst mit der Gottheit kommunizieren? –, daß einer da sein muß, der uns zumindest seine Menschlichkeit bestätigt.
Es verwundert nicht, daß solche Erlöserfiguren immer dann auftreten, wenn sich das Göttliche im Bewußtsein der Menschen verkleinert und aus dem Leben der Menschen entfernt hat. Der Erlöser ist immer auch ein Glaubenserneuerer oder gar ein Religionsstifter.
Vergleichen wir Moses mit Jesus: Die Dramaturgie der Jesus-Geschichte wartet ebenfalls mit zwei Antagonisten auf, nämlich mit Kaiphas, dem Hohenpriester der Juden, und mit Pontius Pilatus, dem Vertreter der römischen Besatzungsmacht. Auch Jesus benötigt seinerseits einen Vermittler zu den Menschen, die an ihn glauben, den Christen, in seinem Fall ist es eine Vermittlerin, nämlich seine Mutter Maria.
Wir können dieses Schema auch auf antike Vermittler zwischen Göttern und Menschen anwenden, zum Beispiel auf Herakles. Auch ihm werden zwei große antagonistische Figuren entgegengestellt, nämlich jener König, der ihm die zwölf Arbeiten auferlegt, und Hera, die Gattin des Zeus. Auch die Herakles-Geschichte benötigt eine weitere Mittelsperson, die den menschlichen Anteil im Heros garantiert, es ist – das Christentum hat sich inspirieren lassen – die Mutter des Herakles, Alkmene.
Es ist also durchaus mythologisch typisch, daß diese zweite Mittelsperson aus der Familie des Erlösers stammt, daß sie als Gegengewicht zur Gottähnlichkeit des Erlösers auf dessen menschliche Herkunft pocht. Diese zweite Mittelsperson ist in der Mosesgeschichte mit seinem Vorfahren Levi besetzt: Moses war ein Sproß aus dem Stamme Levi.
Sehnsucht und Geduld sind Geschwister, die eine kann ihre Kraft ohne die andere nicht entfalten, deshalb soll auch in diesem Kapitel der Erlöser noch nicht auftreten. Erst möchte ich von einem Großvater, dem Patriarchen Levi, erzählen.
Mit der Tatsache, daß Moses ausgerechnet aus dem Stamme Levi kam, wollte man sich nie ganz zufriedengeben. Warum stammt Moses ausgerechnet von Levi ab? Levi war ein Sohn von Jakob und Lea. Lea war nicht die Lieblingsfrau des Jakob, die Lieblingsfrau des Jakob war Rahel. Lea ist dem Jakob untergeschoben worden, Laban, sein Schwiegervater, hat ihn betrogen. Außerdem war Levi kein Mann von gutem Charakter, er war alles andere als großzügig, alles andere als gütig, und besonders gescheit war er auch nicht. Er war böse, unbarmherzig, grausam, plump.
Levi war es, der dafür plädiert hat, Josef, seinen Bruder, zu töten. Aus Eifersucht. Weil Josef der Liebling Jakobs war. Weil Josef ein schöner Mann war. Vor allem, weil Josef seine Brüder immer wieder mit seiner Klugheit demütigte. Ruben dagegen war es, der die Brüder vom Mord abhielt und überredete, Josef in einen Brunnen zu werfen. Warum stammte der Erlöser Israels nicht zum Beispiel aus dem Stamme Ruben? Ruben war doch im Grunde ein feiner Mensch, ein bißchen unbeholfen zwar und schwach, aber doch seiner Moral treu.
Levi war der Grausame, der Böse, der Unbarmherzige. Erinnern wir uns: Als Jakob und seine Söhne zur Stadt Schechem kamen, verliebte sich der Prinz von Schechem in Dinah, die Tochter des Jakob, und als Jakob schon den Heiratsvertrag fertig aufgesetzt hatte, da war es wieder Levi, der seine Brüder gegen Schechem aufhetzte, so daß sie bei Nacht in der Stadt einfielen und alle Männer töteten.
Immer wieder hat man sich gefragt: Warum hat Gott als Gebärgrund für den Erlöser Israels ausgerechnet den Stamm Levi gewählt. Warum stammte
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