Geschichten von der Bibel
Moses nicht von Josef ab, dem Liebling des Jakob, dem Schönen, dem Klugen, dem Liebling aller Israeliten? Oder wenigstens von Jehuda? Jehuda war gerecht. Oder von Ascher? Ascher hatte einen klaren Verstand. Oder von Benjamin, dem Starken?
Nein, es war Levi.
Man hat sich darauf geeinigt: Die Pläne Gottes sind eben unergründlich, wir können nicht wissen, was seine Motive sind. Was aber nicht heißt, daß man nicht suchen und forschen darf. Und so hat man gesucht und geforscht und hat eine Geschichte zutage gefördert, die dem Plan Gottes wenigstens eine Ahnung von menschlicher Plausibilität verlieh.
Einmal in seinem Leben habe – so erzählt diese Geschichte – der Mann Levi nämlich doch so etwas wie Liebe in sich gespürt. Als die große Hungersnot war, schickte Jakob seine Söhne nach Ägypten, um bei dem sagenhaften Vizekönig des Pharaos Korn zu kaufen. Die Brüder wußten nicht, daß dieser Vizekönig Josef war. Josef gab seinen Brüdern Getreide, aber er behielt einen von ihnen als Geisel, nämlich Schimeon, den steckte er ins Gefängnis.
Schimeon war jener Bruder, mit dem Levi den meisten Umgang hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Levi ein Gefühl wie Liebe, wie Trauer in sich. Als sie wieder nach Hause kamen, quälte ihn die Sehnsucht nach Schimeon so sehr, daß er sein ganzes Hab und Gut, seine Herden, Kamele, Rinder, Ziegen, Schafe, seine Diener, seine Mägde, alles, was er besaß, verkaufte und eintauschte gegen – ja: gegen eine Perle, gegen eine einzige Perle.
Es war jene Perle, die der Urvater Abraham ein Leben lang an einer Kette um seinen Hals getragen hatte. Als Gott dem Abraham die ganze Welt und auch den Himmel zeigte, als er mit ihm zwischen die Sterne geflogen war, da habe Abraham, im Vorbeiflug sozusagen, diese Perle mit der Hand aus dem Mond gebrochen. Man dachte sich den Mond als eine riesige Perle, und wer bei einer klaren Vollmondnacht genau hinschaut, der kann mit freiem Auge die Stelle sehen, wo Abraham seine Perle herausgebrochen hat.
Unvorstellbar wertvoll war diese Perle. Und sicher hat Levi den Besitzer übers Ohr gehauen, denn sie war hundertmal mehr wert als all seine Herden und sein ganzes Gesinde. Diese Perle nun wollte Levi nach Ägypten bringen, wollte sie dem sagenhaften Vizekönig vor die Füße legen, damit er Schimeon ziehen lasse.
Levi machte sich allein auf den Weg, hatte nichts weiter bei sich als ein paar Brotfladen, ein Bündel junger Zwiebeln und einen Schlauch mit Wasser. Er war zu Fuß unterwegs, besaß kein Reittier mehr, hatte ja alles gegeben für die Perle. Die hatte er in seine Tasche gesteckt, eingeschlagen in ein Tuch. Als er in der Hauptstadt Ägyptens ankam, so heißt es, sei seine Seele bereits ein wenig geläutert gewesen, da sei er schon nicht mehr durch und durch der hartherzige, böse Levi gewesen. Die Wüste ist dem Einsamen eine Zuchtmeisterin.
Levi hatte gerade das Stadttor durchschritten, da sprach ihn ein Bettler an. Solche Bettler saßen zu Hunderten in der Stadt und streckten ihre Hände nach den Fremden aus, und nur wer noch nie in der Stadt gewesen war und ihre Bräuche nicht kannte, gab etwas, die anderen sagten sich: Freilich bin ich ein gütiger Mann, freilich gebe ich einem Bedürftigen, aber es sind so viele, ich müßte, um gerecht zu sein, allen etwas geben, aber das kann ich nicht, dafür bin ich nicht reich genug, aber bevor ich ungerecht bin, will ich lieber keinem etwas geben.
Genauso hatte Levi bei seinem letzten Besuch in Ägyptens Hauptstadt gedacht. In Wahrheit hatte er sich gar nichts gedacht, er hatte die Bettler nicht einmal wahrgenommen, und wenn einer zu aufdringlich gewesen war, hatte er ihm einen Tritt versetzt.
Aber nun setzte er sich neben den Bettler an die Mauer eines Hauses und teilte mit ihm sein Brot, und es war sein letztes Brot. Daraus schließen jene, die sich über das Leben des Stammvaters Levi ihre Gedanken machen, daß sein Herz sich bereits ein wenig erwärmt hatte. Und sie führen dies eben auf die zuchtmeisterlichen Künste der Wüste zurück.
Die beiden aßen und tranken, verzehrten Levis letztes Brot, verzehrten Levis letzte Zwiebeln. Sie unterhielten sich über dies und das, Belanglosigkeiten, Levi berichtete aus der Wüste, der Bettler aus der Stadt.
Schließlich fragte der Bettler: »Was willst du hier in der Hauptstadt Ägyptens tun?«
»Ich will etwas Gutes tun«, antwortete Levi.
»Dein Blick ist nicht der eines Mannes, der schon viel Gutes in seinem Leben getan hat«,
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