Geschichten von der Bibel
gewesen. In der langen Regierungszeit von Pharao Adikos, die ja, wie berichtet, bis auf die wenigen Jahre vor seinem Ende, vergleichsweise liberal gewesen war, verlor die hebräische Religion an Attraktivität. Nicht daß sich die Israeliten anderen Göttern zugewandt hätten, nein, die unbekümmerte Diesseitigkeit urbaner Zivilisation bot dem fordernden Gott Jahwe eine stärkere Konkurrenz, als sie jede andere Gottheit hätte bieten können. Moses wußte nur zu gut, daß diese Zivilisation auf drei Grundpfeilern ruhte: Reichtum, Bequemlichkeit, Vergnügen.
Freilich war das Lied des Moses in erster Linie ein Dank an Jahwe. Zugleich aber sollte dem Volk Israel damit gesagt werden: Seht her, unser Gott Jahwe ist ein attraktiver Gott, er ist ein Sieger, und er läßt uns alle Anteil nehmen an seinem Sieg. Und ganz gleich, wie stark, schön, aufregend, anziehend der Lebensstil der Ägypter auch sein mag, Jahwe fegt ihn hinweg mit seiner Kraft, und diese Kraft ist schöner, aufregender, anziehender als aller Reichtum, alle Bequemlichkeit, alle Vergnügungen Ägyptens.
Moses warb beim Volk Israel für Jahwe. Und Jahwe warb um sein Volk. All die Wunder, was waren sie anderes als ein Werben um sein Volk – auch mit den Mitteln der Unterhaltung. Und wenn Gott verkündet hatte, er werde Israel in ein Land führen, in dem Milch und Honig fließen, dann konnten darunter doch nur Bequemlichkeit und Reichtum verstanden werden. Es gibt Gottheiten, die interessieren sich gar nicht oder doch nur am Rand für uns Menschen, zum Beispiel die meisten griechischen Götter. Es gibt Gottheiten, die verbreiten nur Angst und Schrecken, und die einzige Beziehung zwischen ihnen und uns Menschen besteht aus Furcht und Strafe. Der Gott Israels, Jahwe, aber ist der anspruchsvollste aller Götter: Er will geliebt und gefürchtet werden. Er zieht an und stößt ab und das bisweilen gleichzeitig. Er straft und verzeiht, er verurteilt und gewährt Gnade. Und er ist ein eifersüchtiger Gott.
Und er sagte es auch zu Moses: »Ich bin ein eifersüchtiger Gott!«
Jahwe ist maßlos. Maßlos in seinen Forderungen. Maßlos aber auch in seinen Versprechungen. Maßlos in seinen Strafen. Maßlos in seiner Gnade. Wer ihm folgt, wird ausgezeichnet – aber diese Auszeichnung kann auch eine Auszeichnung im Leiden sein.
Die Entbehrungen in der Wüste waren groß. Das Volk folgte Aaron, Aaron folgte Moses, Moses folgte Gott. In der Wüste waren die Tage heiß und die Nächte kalt, der Boden, auf dem die Menschen schliefen, war aus Stein, es gab kein Wasser, und es gab kein Brot.
»Was hat dein Gott versprochen?« fragte einer den Moses.
Moses wußte, wenn seine Leute »dein Gott« sagten und nicht »unser Gott«, dann lag Meuterei in der Luft. Früher hatte er sich davor gefürchtet, hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, hatte sich für Jahwe verantwortlich gefühlt, als sei sein Gott ein unfolgsames Kind, dessen Streiche er hinterher wiedergutmachen müßte.
»Ich will mit dir nicht über Gott diskutieren«, sagte er zu dem Mann.
»Warum?« fragte der Mann. »Ist es doch nur dein Gott?«
»Es ist unser Gott«, sagte Moses. »Aber er diskutiert nicht.«
Da ging der Mann und grinste verschämt.
Er winkte verlegen ab, als die anderen ihn bedrängten: »Was hat er gesagt? Was hat er geantwortet? Hast du es ihm gegeben?«
Die Entbehrungen nahmen zu, das Wasser wurde knapper, das Vieh bald so reduziert, daß kein Stück mehr geschlachtet werden durfte, die Kornvorräte, die auf den Karren aus Ägypten mitgeschleppt worden waren, waren aufgebraucht.
Da kamen dann andere, wollten mit Moses sprechen, nun war es bereits ein Dutzend, und die Männer grinsten nicht verlegen und schon gar nicht unterwürfig.
»Was hat uns Jahwe versprochen?« fragten sie.
Moses gab ihnen die gleiche Antwort, die er dem Mann gegeben hatte: »Ich will mit euch nicht über Gott verhandeln.«
»Aber wir wollen!« sagte das Dutzend.
»Gut«, sagte Moses. »Was wollt ihr wissen, was ihr noch nicht wißt über Jahwe, unseren Gott?«
»Wir wollen wissen, wann er sich daran macht, seine Versprechen einzulösen, das wollen wir wissen. Das Land, in dem Milch und Honig fließen, wo ist dieses Land, wie weit ist es noch bis dorthin, wo bleibt die Verpflegung?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Moses.
»Du weißt es nicht!« riefen da die Männer durcheinander. »Du hast uns weggeführt von den Fleischtöpfen Ägyptens, und du weißt nicht, wohin die Reise geht?«
»Ich vertraue auf
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