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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Zelt und wartete, daß die Sonne unterging. Das war ihm der liebste Augenblick des Tages, dieser Übergang von Tag zu Nacht, von Wirklichkeit zu Traum. Aber an diesem Abend hatte sich Bitterkeit in seine Gedanken geschlichen.
    Er dachte über Eliëser nach. Was ist er für ein kluger Kopf, dachte Jakob. Und was hat es ihm gebracht? Was besitzt er am Ende seines Lebens? Nichts. War er nicht viel klüger als Abraham? Und wie reich war Abraham! Und Jakob war drauf und dran, die Bilanz seines eigenen Lebens zu ziehen: Ich bin vernarrt in das Philosophieren und Spekulieren, in das Meinungenbilden und das Was-wäre-Wenn. Aber was hat es mir gebracht? Was wird es mir je bringen?
    Immer war er der Überzeugung gewesen, es sei besser, erst den Weg im Kopf zu gehen, als gedankenlos einen Schritt vor den anderen zu setzen. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Nein, sagte er sich, ich möchte nicht so werden wie Eliëser.
    Er saß da und aß aus seiner Schüssel sein Abendbrot, rote Linsen. Aber hätte ihn jemand gefragt: Was ißt du da? Er hätte es nicht gewußt.
    Da sah Jakob seinen Bruder Esau über das trockene Feld auf die Zelte zuwanken. Esau war seit Wochen nicht zu Hause gewesen, er war auf der Jagd gewesen. Aber er hatte diesmal kein Jagdglück gehabt, alles war ihm schiefgegangen. Er war am Verdursten, und er sank neben Jakob auf die Knie und steckte den Kopf in den großen Krug Wasser, der immer vor dem Zelt stand. Und er trank. Niemand konnte trinken wie Esau.
    Jakob sah ihm zu. Esau hatte nichts gegessen seit Wochen, und als er getrunken hatte, wollte er essen.
    »Gib mir von den Linsen«, sagte er mit letzter Kraft zu Jakob. »Ich bin am Verhungern. Gib mir von dem Roten, das du da in der Schüssel hast.«
    Jakob hielt die Schüssel fest an sich, fuhr mit dem Löffel hinein und schob ihn sich in den Mund.
    »Das sind Linsen«, sagte er.
    »Gib mir davon!« sagte Esau.
    »Hast du keine Kraft mehr?« fragte Jakob.
    »Keine Kraft mehr«, sagte Esau.
    Jakob war ein böser Gedanke gekommen, er preßte die Schüssel noch fester an sich.
    »Ja, ich werde dir etwas von den Linsen geben«, sagte er. »Ich werde dir sogar die ganze Schüssel dieser hervorragenden Linsen geben …«
    »Gib her!« sagte Esau. »Bitte!«
    »… aber du mußt dafür bezahlen«, beendete Jakob seinen Satz.
    Esau sagte: »Ich bin dein Bruder! Willst du von deinem hungernden Bruder Geld dafür nehmen?«
    »Nein, Geld will ich von meinem hungernden Bruder nicht haben«, sagte Jakob. »Etwas anderes möchte ich von ihm haben. Gib mir das Erstgeburtsrecht für diese Schüssel Linsen!«
    »Was willst du?«
    »Ja, du hast mich richtig verstanden!«
    Was ist das Erstgeburtsrecht? Das Erstgeburtsrecht ist in Wahrheit ein recht theoretisches Recht. Es besagt, der erstgeborene Sohn wird eines Tages das Recht haben, von seinem Vater den Segen zu bekommen. Dieser Segen erst ermöglicht es dem Sohn, das väterliche Erbe anzutreten. Das Vermögen der Sippe zu besitzen ist wiederum Voraussetzung, wenn der Sohn eines Tages Anspruch auf die Führung der Sippe erheben will. Das Erstgeburtsrecht ist insofern ein theoretische Recht, weil es erst irgendwann in der Zukunft eingelöst wird – wenn der Vater freiwillig seine Macht abgibt oder wenn er im Sterben liegt.
    »Was soll’s!« sagte Esau. »Du bekommst das Erstgeburtsrecht! Gib mir von den Linsen!«
    Jakob setzte einen Vertrag auf, wenige Zeilen.
    »Unterschreib!« sagte er zu seinem Bruder.
    »Setz noch einen Paragraphen hinzu«, sagte Esau. »Nämlich daß Esau nur unterschreibt, weil er Hunger hat, und daß er schwört, daß er seinen Bruder Jakob ewig dafür hassen wird.«
    Das war einfach Betrug. Und dann bereute Jakob. Und er bat Esau um eine Unterredung. Esau lehnte ab. Wortlos. Jakob ging zu seiner Mutter.
    »Ich habe etwas Furchtbares getan«, sagte er. »Du mußt mir helfen. Mein Gewissen quält mich.«
    Und er erzählte Rebekka, was er getan hatte, und er beschönigte seine Tat nicht.
    Rebekka aber sagte: »Das war gut, was du gemacht hast, Jakob. Mein Jakob! Du hast dir nur geholt, was dir immer schon zugestanden hat. Esau hat dich in meinem Schoß betrogen. Er hat dich zurückgedrängt. Glaubst du denn, ich weiß nicht, wovon ich rede?«
    Rebekka versprach, Jakob zu helfen. Aber ihre Hilfe sollte nicht sein Gewissen erleichtern, sondern nur sein erkauftes Recht festigen.
    »Gott sieht alles«, sagte Jakob. »Er wird mich strafen!«
    »Erstens«, sagte Rebekka, »ist es nicht erwiesen, daß

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