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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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kann«, sagte Esau.
    Da waren die Brüder noch junge Männer, als sie so miteinander redeten, gerade, daß ihnen der Bart sprießte, Jakob weniger, Esau mehr. Später redeten sie nicht mehr so miteinander.
    »Wenn du zum Beispiel in Not gerätst«, versuchte Jakob seinen Bruder zu einer Stellungnahme zu bewegen. »Dann bist du dem Bösen ausgeliefert.«
    »Wie sollte ich in Not geraten«, sagte Esau und riß einen Brotfladen auseinander.
    »Durst zum Beispiel«, sagte Jakob.
    »Es ist alles da.«
    »Oder Hunger!«
    »Es ist alles da!«
    »Und was ist mit dem Guten?«
    »Was soll damit sein? Das Gute ist das Gute, darüber braucht man doch nicht zu reden. Wenn der Weizen gut steht, brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Wenn er schlecht steht, schon. Aber böse ist der Weizen nicht. Zeig mir draußen auf den Feldern das, was gut, und das, was böse ist!«
    »Das meine ich nicht«, sagte Jakob.
    »Was meinst du dann?«
    »Was ich meine, findest du nicht auf deinen Feldern und deinen Weiden.«
    »Sondern?«
    »Nur im Kopf.«
    »Ich habe eine große Herde Schafe und eine große Herde Rinder und etliche Hektar Land«, sagte Esau. »Das genügt mir.«
    »Ja, sicher …«, stieß Jakob ungeduldig zwischen den Zähnen hervor.
    Er blickte an seinem Bruder vorbei und wartete, bis der alte, der uralte Eliëser auf seinen Krücken daherkam und sich neben ihn auf den Teppich vor dem Zelt setzte. Mit Eliëser besprach Jakob gern solche Dinge, die nur im Kopf ihren Platz hatten.
    Jakob war die meiste Zeit zu Hause bei den Zelten. Er half seiner Mutter Rebekka im Haushalt, und er tat nichts lieber als spekulieren und philosophieren. Fragen zu stellen war seine Leidenschaft. Und eine Meinung konnte ihn glücklich machen.
    »Aber er weiß nicht, was er gegessen hat, wenn er vom Tisch aufsteht«, sagte Esau.
    »Hauptsache, es schmeckt ihm«, sagte Rebekka.
    »Mir schmeckt es auch«, sagte Esau kleinlaut, »aber ich sage das auch, und ich danke dir, daß du so gut kochst. Er dankt nie.«
    »Er dankt mir im stillen«, verteidigte Rebekka ihren Jakob.
    Esau bemühte sich um die Liebe seiner Mutter, er brachte ihr Blumen vom Feld mit. Aber sie vergaß, die Blumen in eine Vase zu geben, und am nächste Tag waren sie welk.
    »Kann ich dir bei der Hausarbeit helfen?« fragte Esau, wenn er am Abend von der Weide kam.
    »Nein, nein«, sagte Rebekka, »Jakob hilft mir doch.«
    Aber Jakob hatte sich mit Eliëser verplaudert, und Rebekka machte alle Arbeit allein.
    Dann kam er, legte seine Arme um den Hals seiner Mutter, küßte sie auf die Wangen und sagte: »Du bist die schönste Frau der Welt.«
    Und das war für Rebekka mehr als Blumen vom Feld. Obwohl sie wußte, daß es nur so dahergeredet war. Und obwohl sie sich auch ein wenig ärgerte, daß er sich nichts Originelleres einfallen ließ, er, der vor Originalität nur so blitzte, wenn es darum ging, Theorien über alles mögliche aufzustellen. Ja, in der Möglichkeit war Jakob mehr zu Hause als in der Wirklichkeit. Am liebsten waren ihm Sätze, die im Konjunktiv verfaßt waren.
    »Was wäre, wenn?« Das war ihm der liebste Beginn einer Frage. »Was wäre, wenn der Mensch die Zukunft wüßte?«
    »Er würde nicht leben wollen«, sagte Eliëser.
    »Hättest du als junger Mann nicht leben wollen, wenn du gewußt hättest, was aus dir werden würde?« fragte Jakob den Eliëser.
    Da seufzte der alte Mann. Eine Antwort wußte er nicht.
    Für Rebekka war es ein Schmerz, daß ihr Liebling nicht der Erstgeborene war, daß Esau als erster aus ihrem Schoß gekommen war. Ihre Spitzfindigkeit über das dünne Gefäß und die zwei Perlen hatte keine Wirkung gezeigt. Rebekka war der Überzeugung, Esau verdiene das Erstgeburtsrecht nicht, Begründung gab sie dazu keine ab. Sie mochte ihren Ältesten nicht, fertig.
    Und Isaak, der Vater? Was sagte er? Nichts! Längst schon nickte er nur noch. Man stellte ihm eine Frage, und er nickte, und der Frager durfte das Nicken interpretieren. Nicken kann viel mehr als nur Bestätigung bedeuten. Es kann heißen: Das ist eine gute Frage. Oder: Es ist eine schlechte Frage, und es ist typisch, daß gerade du sie stellst. Oder: Mit dieser Frage hast du den Kern der Sache getroffen. Oder: Ja, ich bin der Richtige, den du da fragst. Oder: Ja, ich weiß die Antwort, aber ich darf sie nicht sagen. Und Isaak verstand es vortrefflich, so zu nicken, als ob ihm das Gewicht der Welt im Nacken säße. Außerdem war Isaak blind geworden.
    Eines Abends saß Jakob wieder vor seinem

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