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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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kommt, das ist doch klar!«
    Aber sie fragte weiter: »Kommt das Kind aus dem Samen des Mannes oder aus dem Schoß der Frau?«
    Weil die Befragten alle Männer waren, bekam sie die Antwort: »Dumme Frage! Natürlich aus dem Samen des Mannes!«
    Und Rebekka fragte weiter: »Der Muttermund, kann man den mit einem dünnen Gefäß vergleichen?«
    »Kann man, ja, kann man.«
    »Er ist also ein dünnes Gefäß?«
    »Ja, was fragst du denn noch!«
    Da sagte sie: »Ist es nicht so, wenn man zwei Perlen in ein dünnes Gefäß gibt, daß diejenige, die man zuerst hineingibt, als zweite wieder herauskommt, und diejenige, die man als erste hineingibt, als zweite herauskommt?«
    »Ja, ja, so ist es. Das weiß doch jedes Kind!«
    »Also«, sagte Rebekka, »ist der Erstgeborene eigentlich der zweite und der Zweitgeborene eigentlich der erste. Ihr habt es selber gesagt!«
    Da schauten die Männer komisch und bliesen die Backen auf und sagten, sie müßten jetzt heim, da warte Arbeit auf sie … Den Jakob, den liebte Rebekka über alles. Für den Esau interessierte sie sich nicht.
    Dann starb Abraham. Niemand konnte mehr sagen, wie alt er war. Auch er selber wußte es nicht. Bevor er starb, ließ er seine Enkel zu sich bringen, und er nahm den Finger Jakobs und legte sich den Finger des Knaben auf seine Augen, bevor er starb.
    Auch das war für Rebekka ein Zeichen.

JAKOB UND ESAU
    Von der Wiederholung – Vom häufigen Gebrauch des Konjunktivs – Von der Vielfältigkeit des Nickens – Von einem Linsengericht und einem bösen Vertrag – Von Esaus Hochzeitsfest – Vom Segen des Vaters und einem zweiten Betrug – Von Esaus Tränen – Von Jakobs Flucht – Von der goldenen Himmelsleiter
     
    Wieder haben wir es mit zwei Brüdern zu tun, wie so oft in der Mythologie. Zwei Brüder, die einander bekämpfen, zwei Brüder, die einander lieben: Esau und Jakob, die Söhne von Isaak und Rebekka. Tatsächlich sind Esau und Jakob eine ferne Spiegelung des ersten Brüderpaares: Kain und Abel.
    Erst in der Wiederholung, so lehrt uns die Mythologie, erhalten menschliche Eigenschaften und Beziehungsformen Bedeutung, so daß vom Individuellen auf das Allgemeine, vom Sonderfall auf eine Prägung geschlossen werden kann und sich ein Mensch als Teil der Menschheit begreifen darf – das und nichts anderes ist das Wesen des Rituals. Im Ritual löst sich der Mythos ein. Die Geschichten werden erzählt, damit sie sich wiederholen. Jeder mythische Held trägt in sich die Aufforderung, es ihm gleichzutun. Erst in der Wiederholung gewinnt der Mythos Sinn.
    Diese beiden Brüder, Esau und Jakob, waren so unterschiedlich, unterschiedlicher konnten sie gar nicht sein. Esau war groß, mächtig, stark, ein Mann des offenen Feldes, wie es heißt. Er war über und über mit Haaren bedeckt, dichte rote Haare wuchsen ihm im Gesicht und am Hals, von wo sie in das Brusthaar hinabwucherten. Dichte rote Haare bedeckten auch seine Arme, so dicht, daß man die Haut darunter nicht sehen konnte. Esau galt als unberechenbar, weil er mit seiner Meinung hinter dem Berg hielt. Andere sagten – und es war als Verteidigung gemeint –, er habe gar keine Meinung.
    Tatsächlich sagte Esau: »Soll ich diese Meinung haben oder eine andere, was macht es aus. Ich tu, was ich tun muß, und ich tu es, weil es getan werden muß, und wenn einer eine andere Meinung hat, muß ich es dennoch tun.«
    Er war nicht dumm, ganz und gar nicht. Esau war still, tat seine Arbeit, war in sich gekehrt, wirkte mürrisch. Meistens senkte er den Blick, vermied es, den Menschen in die Augen zu sehen. Manchmal aber starrte er sie an, und das machte manchen schaudern.
    Andere behaupteten, er sei böse, und sie führten als Beleg an, daß er nie lachte. Aber Esau war nicht böse. Und wer ihn für böse hielt, war selber böse. Wenn es je einen Realisten auf Gottes weiter Erde gegeben hat, dann war es Esau, und daß die weite Erde, auf der er wandelte, Gottes Erde war, kümmerte ihn übrigens wenig.
    Seine Fragen waren: »Was gibt es heute zu essen?«
    Oder: »Wo kann ich meinen Kopf niederlegen zum Schlafen?« Oder: »Was kostet das Saatgut in diesem Jahr?«
    Das Vernarrtsein in Meinungen, das philosophische Spekulieren, das theologische Sichversteigen, das war die Sache seines Bruders Jakob.
    Wenn Jakob fragte: »Was ist gut? Was ist böse?«
    Dann zuckte Esau nur mit den Schultern und sagte: »Dem Bösen gehe ich aus dem Weg.«
    »Und wenn du dem Bösen nicht mehr aus dem Weg gehen kannst?«
    »Ich

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