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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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glücklichsten Mann!«
    »Jakob«, sagte Laban und faßte ihn am Ärmel, »komm mit mir beiseite!«
    Und als sie in einiger Entfernung von seinen Söhnen standen, sagte Laban: »Sie sind nichts wert, sie machen nur Arbeit und taugen nicht zur Arbeit. Ich werde alles dir vermachen, dir allein.«
    »Ich will nur Rahel«, sagte Jakob. »Und dann will ich mit ihr weggehen.«
    »Ja, ja, die kriegst du doch, was bist du für ein geiler Bock! Denkst du nur an dich? Denkst du nicht auch an Rahel und an eure Kinder? Und vielleicht auch ein wenig an mich? Ich werde alt, ich bin schon alt, älter, als ich aussehe, ich bin ein gutmütiger Mann, jeder weiß das. Wenn du gehst und mir meine Lieblingstochter nimmst, dann werde ich mindestens ein Jahr nur weinen. Und dann? Was ist dann? Dann werde ich bankrott sein. Du weißt am besten, was in einem Jahr alles geschehen kann, wenn niemand nach der Wirtschaft schaut. Und ich kann nicht nach der Wirtschaft schauen, denn ich muß ja weinen …«
    Und so redete und redete Laban, bis Jakob der Kopf schmerzte.
    »Gut«, sagte Jakob schließlich, »hör auf zu jammern, Laban! Ich werde also bleiben, bis die sieben Jahre um sind. Aber unter einer Bedingung! Ich will Rahel sehen dürfen. Ich will mich nicht mit ihr verstecken müssen, wenn wir miteinander sprechen wollen.«
    »Wie oft?«
    »Wann immer ich will.«
    »Nein«, rief Laban, »dann wirst du dich nicht mehr um meine Wirtschaft kümmern. Einmal in der Woche!«
    »Einmal am Tag.«
    »Alle drei Tage.«
    »Einmal am Tag.«
    »Alle zwei Tage, Jakob!«
    »Einmal am Tag!«
    »Also gut«, fing Laban wieder an zu jammern. »Du willst einen alten Mann demütigen! Nur zu! Nur zu!«
    Rahel war traurig, und sie war auch wütend. »Trau ihm nicht«, sagte sie zu Jakob. »Er wird dich wie ein Bettler ziehen lassen. Du wirst ihm Reichtum gebracht haben, und er wird dir alles nehmen.«
    »Wenn du meine Frau wirst, soll es so sein«, sagte Jakob.
    »Nein«, sagte Rahel, »es ist nicht gerecht.«
    Rahel hatte eine Schwester. Die war nur um ein kleines weniger hübsch als Rahel. Ihr Name war Lea.
    Lea hatte etwas an den Augen. Wahrscheinlich eine von Insekten übertragene Infektionskrankheit. Das mutmaßten die einen. Andere sagten, nein, die Krankheit rühre vom vielen Weinen her. Leas Augen waren immer entzündet, rot, und sie tränten, und alle paar Minuten rieb sie ihre Augen, weil sie so juckten. Eben genau das komme vom vielen Weinen, sagten die anderen, und zwar weil Lea, obwohl sie nicht viel weniger hübsch war als Rahel, immer die zweite gewesen sei – die Zweithübscheste, die Zweitklügste, immer die zweite.
    Rahel war das Glückskind, und Lea glaubte, sie stehe im Schatten ihrer Schwester. Und sie stand ja auch im Schatten ihrer Schwester. Und wenn alle recht hatten, die da behaupteten, Laban sei ein Fuchs, ein Betrüger, ein Schuft, ja, der Teufel, so war er doch ein gerechter Vater, der genau wußte, daß die Benachteiligte Protektion brauchte. Es schmerzte ihn zu sehen, wie seine ältere Tochter Lea vor Kummer zu verblühen drohte. Laban liebte seine Töchter, er liebte Rahel, das Glückskind, und er liebte Lea.
    »Vergeßt mir Lea nicht!« war sein Wort.
    Und Laban war ein genauer Beobachter, und was Lea anging, war er ein besonders genauer, besonders empfindlicher Beobachter, und es war ihm nicht verborgen geblieben, daß sich Lea in den jungen, klugen Verwalter, in Jakob, verliebt hatte.
    Alle mochten den Jakob. Er war ja auch charmant. Und keiner verstand es wie er, am Abend Geschichten zu erzählen. Lea litt darunter, daß sie wieder die zweite war, daß sie hinter Rahel stehen mußte, daß sie zu kurz kam.
    Ein Jahr verging. Das Vermögen des Laban wuchs noch weiter, noch schneller.
    Rahel warnte Jakob wieder, sie sagte: »Paß auf, mein Vater wird versuchen, dich zu betrügen.«
    »Wie soll er mich betrügen?« fragte Jakob und lachte, denn er fühlte sich Laban überlegen – in allen Bereichen. »Bevor er einen Gedanken faßt, habe ich ihn bereits durchschaut.«
    »Nein«, sagte Rahel. »Du bist ein guter Mensch, Jakob, Betrug liegt dir fern. Du kannst dich gar nicht in einen Betrüger hineindenken.«
    Da senkte Jakob die Augen und sagte: »Vielleicht hast du recht.« Und log: »Ich kann mich wirklich nicht in einen Betrüger hineindenken.«
    »Sorg dafür, daß du selbst einiges auf die Seite bringst«, sagte Rahel. »Es ist für uns, für uns und unsere Kinder. Ich möchte nach unserer Hochzeit nicht weiter hier bleiben

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