Geschlossene Gesellschaft
erinnert sich in der Fleet Street immer noch an Sie.«
»Ja ? Nun, glauben Sie mir, meine verehrten Journalistenkollegen haben die Geschichte falsch verstanden. Es war eine erfundene Anklage. Wenn jemand in dieser Nacht gefickt worden ist, dann ich. Man hat mich ordentlich hereingelegt.« Als er meinen skeptischen Blick bemerkte, fügte er hinzu: »Sie glauben mir nicht. Aber Sie würden es tun, wenn Sie alles wüssten.«
»Dann erklären Sie es mir.«
Er knirschte mit den Zähnen und starrte mich durch die Wolke von Rauch und trunkenem Gerede hinweg an. »Einverstanden«, sagte er schließlich. »Wie Sie wollen. Ich werde reden. Aber nicht hier. Nirgendwo in Alnwick. In dieser Stadt haben selbst die Gullys Ohren.«
»Ich habe einen Wagen. Wir können ins Moor hinausfahren.«
»Lieber an die Küste. Dort fühle ich mich sicherer.«
»Sehr gut. Obwohl ich davon überzeugt bin, dass keine Notwendigkeit besteht...«
»Es gibt eine Notwendigkeit!« Er fixierte mich ernst. »Sie werden das noch früh genug merken, glauben Sie mir.« Er stürzte das Bier in einem Zug hinunter, kletterte schwankend vom Barhocker und musterte dann prüfend die übrigen Gäste. »Lassen Sie uns gehen«, murrte er, »bevor ich es mir anders überlege.«
Wir fuhren durch ein schmales Tor der mittelalterlichen Stadtmauer, und Duggan leitete mich nach Norden auf die Alnmouth Road. Auf einer Erhöhung zu unserer Linken stand eine Steinsäule, von deren Spitze ein Löwe mit peitschendem Schwanz herunterblickte. Duggan bemerkte meinen Blick. »Der Löwe ist das Wahrzeichen der Familie Percy - die Herzöge von Northumberland. Sie herrschen seit sechshundert Jahren auf ihrer Burg auf der anderen Seite der Stadt über Alnwick. Diese Säule wurde mit den Spenden ihrer Pächter bezahlt. Ein Zeichen der allgemeinen Wertschätzung, die man ihnen entgegenbringt.«
»Bis auf Sie?« fragte ich, als ich seinen sarkastischen Unterton bemerkte.
»Ich beschwere mich nicht. Der Herzog hat den Herausgeber des Advertiser ermuntert, mich einzustellen, als ich nach dem Krieg aus dem Gefängnis kam. Keine andere Zeitung hätte mich auch nur mit der Kneifzange angefasst.«
»Das war sehr großzügig von ihm.«
»Er hat Lord Grey einen Gefallen getan.«
»Viscount Grey, meinen Sie? Dem ehemaligen Außenminister?«
»Er lebt einige Meilen nördlich von hier, in Fallodon.« Duggan warf mir einen Blick zu. »Er ist ein ehemaliger Wykehamist, fällt mir dabei ein. Wie Sie.«
»Aber vor meiner Zeit. Lange vor meiner Zeit.« Dennoch war mir der berühmte Staatsmann bekannt. Und meine Miene musste verraten haben, dass ich kaum glauben konnte, er sei als Wohltäter für George Duggan aufgetreten.
»Wir zweifeln, was, Mr. Horton? Glauben Sie, ich schneide auf?«
»Warum sollte Lord Grey Ihnen helfen?«
»Weil er gemerkt hat, dass man mir übel mitgespielt hatte.«
»Wollen Sie behaupten, er glaubte an Ihre Unschuld?«
»Er vermutete es, ja. Fürchtete es vielleicht. Sollte mich nicht wundern, wenn er auch das fürchtete, was es bedeutete.«
»Was bedeutete es?«
Statt zu antworten, zündete Duggan eine Zigarette an, hustete während der ersten Züge und sagte dann: »Wir werden früh genug in Alnmouth sein. Dort gibt es eine Abzweigung, die an den Strand führt. Achten Sie darauf.«
So war ich also gezwungen, noch ein bisschen zu warten, bis wir das Dorf erreichten, das auf der langen sandigen Landzunge an der Mündung des Flusses Aln erbaut worden war. Wir fuhren zum Rand der Dünen hinab und gingen zum Strand hinunter, wo ein scharfer Wind von der Nordsee her blies und unsere Worte übertönte. Dort konnte uns niemand belauschen, und Duggan fühlte sich endlich sicher.
»Vor zwanzig Jahren war ich ein anderer Mann, Mr. Horton, wie vermutlich wir alle. Aber ich habe mich mehr verändert als die meisten anderen. Meine ehemaligen Kollegen vom Topical könnten Ihnen das bestätigen. Schuld hat das Gefängnis. Und der Krieg. Für mich war es dasselbe. Und zwar aus demselben Grund.« »Aus welchem Grund?«
»Charnwood.« Er schnippte seine Kippe in den Sand und vergrub die Hände in die Hosentaschen. »Gott, ich wünschte, ich hätte den Namen dieses verfluchten Mannes nie gehört.« »Wann haben Sie ihn das erste Mal gehört?« »In Wien. Am 20. Juli 1914. O ja, ich erinnere mich noch an Zeit und Ort. Es besteht keine Gefahr, dass ich das vergesse.« Er stieß einen langen Seufzer aus, der erwartungsgemäß in ein Husten mündete, straffte dann die Schultern
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