Geschlossene Gesellschaft
abzuzweigen, das Charnwood vor ihnen versteckt hatte. Denn dass er es getan hatte, daran zweifelte ich nicht mehr. Vita wusste mehr, als sie verraten würde. Diana vielleicht auch, obwohl eindeutig nicht so viel wie ihre Tante. Ihre Unterhaltung in der Villa Primavera, die ich belauscht hatte, überzeugte mich davon, dass Diana Mitwisserin eines wichtigen Geheimnisses war. Da ihre Reaktion auf das Symbol der Concentric Alliance bewies, dass sie seine Bedeutung nicht kannte, konnte es sich dabei nur um den Verbleib von Charnwoods Geld handeln. Ein Geheimnis, das sie wohl kaum jemandem enthüllen würde außer ihrem Geliebten.
Und der war ich. Ich schloss halb die Augen und stellte mir vor, wie sie sich zu mir umdrehte, während ein Seidengewand von ihrer Schulter glitt. Ich streckte die Hand aus und konnte fast ihre glatte Haut fühlen. Ich lächelte, als ich jede Einzelheit ihres...
Mit einem Schluck Scotch beendete ich diese Überlegungen. Ich würde zu Diana zurückkehren, aber ich würde behaupten, nichts von der Concentric Alliance zu wissen. Den Brief mit dem Symbol nahm ich aus der Tasche, zerriss ihn in vier Teile und warf ihn ins Feuer. Sollte Diana jemals danach fragen, würde ich behaupten, ihn verloren zu haben. Dann fiel mir mein Vertrag mit Max wieder ein. Solch ein verräterisches Dokument musste ebenfalls zerstört werden. Ich nahm es aus meiner Brieftasche, entfaltete es, knüllte es zusammen und warf es ins Feuer. Dann machte ich dasselbe mit Max' Kopie.
Doch als ich sie entfaltete, flatterte ein kleines blaues Stück Papier vor mir auf den Tisch. Ich hielt inne und hob es auf, um es zu untersuchen. Es war eine halbe Theaterkarte, deren rechte Seite von einer Platzanweiserin abgerissen worden war. Auf der linken Seite war eine Seriennummer und die Hälfte des Namens des Theaters aufgedruckt: Pier The... auf der einen Zeile und in der nächsten: Bourne... Das hieß offensichtlich Pier Theatre, Bournemouth. Aber warum hätte Max nach Bournemouth gehen sollen?
Plötzlich fiel mir ein Grund ein. Wir hatten dort im August 1915 einen achtundvierzigstündigen Heimaturlaub verbracht, während wir beim King's Royal Rifle Corps in Salisbury Piain ausgebildet wurden. Es war eine wilde Zeit - ich konnte mich nicht erinnern, ob sie einen Besuch des Pier Theatre eingeschlossen hatte -, das letzte Vergnügen vor dem üblen Erwachen in Mazedonien; vielleicht hatte Max Bournemouth deshalb in Erinnerung an unsere sorgenfreie Vergangenheit als Versteck benutzt. So wie er beschlossen hatte, unseren Wagen in Winchester zu lassen, weil wir uns dort vor langer Zeit im September 1910 kennengelernt hatten.
Chefinspektor Hornby hätte in den Wochen nach Charnwoods Ermordung sicher ein beträchtliches Sümmchen für diesen Hinweis auf Max' Bewegungen gezahlt. Doch jetzt war die Karte, wie so vieles andere, ein überflüssiges Echo einer verflossenen Beziehung. Ich knüllte den Vertrag zusammen und warf ihn ins Feuer, beugte mich vor und streute die Asche mit dem Schürhaken auseinander. Dann nahm ich die zerrissene Theaterkarte und entschied mich, sie als Erinnerungsstück zu behalten, da sie niemand anderem etwas verraten konnte. Als ich sie in die Brieftasche stecken wollte, fiel mein Blick auf die Rückseite. Dort war etwas geschrieben, und ich erkannte die Handschrift sofort. Es war die von Max.
26. 8. 31. Wo ist H. L.? Ich starrte einige Sekunden auf die Worte und fragte mich, was sie bedeuteten. Charnwood war in den frühen Morgenstunden des 22. August, eines Samstages, ermordet worden. Der 26. musste also ein Mittwoch gewesen sein. Anscheinend war Max an diesem Tag in Bournemouth und hatte nach jemandem gesucht, dessen Initialen H. L. waren. Doch ich kannte keine solche Person. Wer war er? Das Pier Theatre kam mir nicht wie ein geeigneter Tagungsort für Sir Henry Lauder vor. Auch unter unseren zusammengewürfelten Freunden und Bekannten fiel mir niemand mit diesen Initialen ein. Ich konnte nicht herausfinden, wer und wo dieser H. L. gewesen war.
Aber offenbar war die Antwort für Max sehr wichtig gewesen. Warum sonst hätte er die Eintrittskarte zusammen mit unserem Vertrag aufbewahren sollen? Das war sicherlich mehr als nur eine Erinnerungsstütze. Der Ort, das Datum und die Initialen bedeuteten etwas. Sie waren in seinem Kopf miteinander verbunden gewesen. Jedenfalls bis zu seinem Tod. Ich dachte an die verwirrenden Beschuldigungen, die er in den letzten Minuten seines Lebens über mich ausgeschüttet hatte.
Weitere Kostenlose Bücher