Geschlossene Gesellschaft
begegnet. Was anderes hatte es dazu gebraucht als Blut, Dunkelheit und gut erzählte Lügen? Und einen Mord, natürlich. Diese kleine, doch sehr entscheidende Komponente in dem ganzen Plan.
»Sind Sie sicher, dass Sie Alfie nicht kennen?« fragte Pragnell. »Wenn Sie ihn noch länger anstarren, ist da bald ein Loch in dem Foto.«
»Wo, glauben Sie, hält er sich auf?«
»Keine Ahnung. Würde mich nicht wundern, wenn er im Ausland wäre. Mit irgendeiner Tussi. Aber langsam muss ihm der Zaster ausgehen. Denn er kann nur zaubern.«
»Er könnte natürlich auch tot sein.«
»Alfie? Nein. Der ist so gesund wie ein Gauner.«
»Vielleicht ist er bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
»Das hätte ich erfahren.«
»Oder ermordet worden.«
»Ermordet?« Pragnell schaute mich finster an. »Spielen Sie nicht den Abgebrühten. Warum sollte jemand Alfie umbringen?«
»Das weiß ich auch nicht.«
Doch das tat ich. Ich kannte das Motiv und auch die Methode. Lightfoot war bezahlt worden, um Charnwood darzustellen. Er hatte ihre natürliche Ähnlichkeit verstärkt, indem er seinen Schnurrbart abrasiert und die natürliche Farbe seines Haares hatte durchkommen lassen. Er war nach Dorking gefahren und hatte in demselben abgelegenen Pub auf sein Stichwort gewartet wie Max und ich. Und später war er in der Kleidung seines Auftraggebers auf die Bühne gegangen - zum letzten Mal. Charnwood hatte ihn getötet. Und Vita und Diana hatten ihn identifiziert. Die Schuld der drei lag auf der Hand. Wie auch das Geheimnis, das sie verbargen. Nicht der Aufenthaltsort des Geldes war es, sondern der Aufenthaltsort von Fabian Charnwood.
»Vielleicht«, sagte ich zögernd, »hat man ihn mit jemand anderem verwechselt.«
12
Bookham zwei-fünf-acht.« »Guten Morgen. Könnte ich bitte mit Miss Diana Charnwood sprechen?«
»Wer spricht denn da?« »Guy Horton.«
»Einen Moment, bitte, Mr. Horton.«
Es gab eine Pause, und dann ertönte ein Klicken, als Diana in einem anderen Zimmer den Hörer abnahm.
»Hallo, Guy. Ich habe mir schon Sorgen...«
»Tut mir leid, dass ich mich nicht schon früher gemeldet habe, Diana. Ich hatte ein paar Probleme.«
»Ist jetzt alles in Ordnung?«
»O ja. Völlig in Ordnung.«
»Wo bist du?«
»In London.«
»Warum kommst du dann nicht her und erzählst mir davon?«
»Weil ich immer noch... Nun, ich kann hier nicht vor morgen weg. Familienstreitigkeiten. Ich erkläre dir alles, wenn ich ankomme. Morgen Abend, irgendwann nach acht Uhr.«
»Leistest du uns beim Dinner Gesellschaft?«
»Danke, aber eigentlich wollte ich mit Quincy in Dorking zu Abend essen. Er trifft einen Geschäftsfreund im Deepdene Hotel.«
»Ja? Nun, wenn du lieber...«
»Nein, nein. Ich fragte mich nur, ob du mich bei ihm entschuldigen kannst. Sag ihm, dass ich es nicht schaffe und er ohne mich weitermachen soll. Kannst du das tun?«
»Selbstverständlich. Aber Guy, du bist sehr...«
»Entschuldige, aber ich muss mich sputen. Wir sehen uns morgen Abend. Mach's gut, bis dann.«
Ich legte den Hörer auf und trat langsam ans Fenster meines Hotelzimmers. Durch das regenverschmierte Glas war die Straße wie durch einen grauen Schleier zu sehen, und in meinem Kopf war London nur noch ein tristes Rechteck von geschlossenen Türen und fallenden Blättern. Diana würde jetzt vermutlich in den Garten des Amber Court blicken und sich fragen, was mein abruptes und distanziertes Verhalten bedeutete. Aber sie würde niemals erraten, dass ich dem mörderischen Plan, den sie, ihr Vater und ihre Tante ausgeheckt hatten, auf die Schliche gekommen war. Ich wusste nicht, wo Charnwood sich versteckte. Aber Diana und Vita wussten es. Morgen Abend, wenn Quincy aus dem Weg war, würde ich sie zwingen, es mir zu sagen. Dann würde ich dem Ärger freien Lauf lassen, der seit einigen Stunden in mir gärte. Das Warten würde mir nicht leicht fallen, aber es war die Sache wert. Bis dahin würde ich noch ärgerlicher sein, als ich es jetzt schon war.
Ich ging zum Nachttisch, öffnete die oberste Schublade und schaute auf die Kopie des Fotos von Lightfoot, die Pragnell mir gegeben hatte. Ich hatte jede Linie seines Gesichtes so lange studiert, bis sie in meinem Gedächtnis eingegraben war. Ich hatte so lange darauf gestarrt, bis Charnwoods und Lightfoots Gesicht in meiner Vorstellung zu einem Gesicht verschmolzen, austauschbar und nicht mehr zu unterscheiden. Nicht ganz, allerdings. Fabian Charnwood löste sich immer wieder aus der Ähnlichkeit mit seinem
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