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Geschlossene Gesellschaft

Geschlossene Gesellschaft

Titel: Geschlossene Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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frischer war. Ende August, Anfang September. Irgendwann um diese Zeit. Als ich noch glaubte, dass der Quälgeist wieder auftauchen würde. Ich hatte ihm Engagements bis Ende September verschafft, wissen Sie. Bangor, Swanage, Ilfracombe, Weston-super-Mare. Ich habe seinetwegen genug Eier ins Gesicht bekommen, um mir ein Omelette machen zu können.«
    »Dieser andere Bursche. Können Sie sich an seinen Namen erinnern?«
    »Er hat ihn mir nicht genannt. Aber Sie haben mir Ihren ja auch noch nicht gesagt, nicht wahr?«
    »Horton. Guy Horton.«
    »Nun, Mr. Horton, ich werde Ihnen sagen, was ich auch ihm schon erzählt habe. Alfred Hildebrand Lightfoot, Zauberkünstler, Bauchredner und außerordentlicher Gedankenleser, gab am 19. August eine einzige Show in Margate. Seitdem habe ich von ihm weder etwas gesehen noch gehört. Genauso wenig wie irgendjemand anders in dem Geschäft.«
    »Wo ist er denn?«
    »Da können wir beide nur raten. Er war nicht gerade der Verlässlichste. Er hat Termine versäumt, wegen Alkohol oder Frauen oder beidem... Nun, es war zu erwarten. Aber wochenlang? Daraus werde ich nicht schlau.«
    »Ist er hier abgebildet?« Ich deutete auf die Fotos.
    »Alle meine Berühmtheiten sind hier abgelichtet, Mr. Horton.« Er stand auf, watschelte zur Wand unter dem Milchglasfenster und bedeutete mir, ihm zu folgen. »Sogar Alfred Hildebrand Lightfoot.« Er deutete auf ein Foto.
    Es war ein Studioporträt eines gutaussehenden Mannes im Abendanzug, mit einem schmalen Kopf, glänzendem Haar und einem forschen militärischen Schnurrbart. Er lächelte liebenswürdig in einer Was-kostet-die-Welt-Manier und schien sich für einen Ladykiller zu halten, vermutlich sogar mit gutem Grund. Aber da war noch etwas, ein leicht störender Glanz in seinen dunklen Augen, der mich ansprach. Am meisten aber starrte ich auf seine eigenartig intensiven Gesichtszüge.
    »Selbstverständlich ist das vor einigen Jahren aufgenommen worden«, sagte Pragnell. »Er ist mittlerweile ein gutes Stück grauhaariger.«
    »Wie alt ist er?«
    »Mitte fünfzig. Er hat sich darüber nie genau ausgelassen. Über irgendetwas anderes übrigens auch nicht.«
    »Größe?«
    »Ungefähr so wie Sie.«
    Jetzt konnte ich es beinah sehen, beinah die körperliche Realität dessen greifen, was ich suchte: einen Hinweis, eine Vermutung, einen Schimmer von dem, was Max vor mir klar geworden sein musste.
    »Kann natürlich sein, dass er jetzt den Schnauzer nicht mehr hat.«
    »Was?«
    »Nun, der Theatermanager aus Margate erzählte mir, dass er dort sauber rasiert aufgetaucht sei. Und mit mehr weißem als grauem Haar. Kaum noch wiederzuerkennen, sagte er. Aber vermutlich hat er übertrieben. Vielleicht hatte Alfie nur vergessen, Stiefelcreme aufzutragen. Und was den Schnauzer angeht. ..«
    Das war es. Einen Augenblick erschien vor meinem geistigen Auge Lightfoots Gesicht, um zehn Jahre gealtert, ohne Schnurrbart, und lächelte mich in einer anderen, aber dennoch vertrauten Maske an. Jetzt hatte ich ihn. Ich konnte ihn genauso vor mir sehen, wie Max ihn gesehen haben musste. Nicht als Alfred Hildebrand Lightfoot, Zauberkünstler, Bauchredner und Gedankenleser. Sondern als Fabian Melville Charnwood, Firmenchef, internationaler Finanzier und Ingenieur eines Weltkriegs. Als ich ihn anstarrte, schien sein Lächeln breiter zu werden, und seine Augen schienen zu zwinkern. »Ein Kreis und eine Gerade können dasselbe sein. Das hängt von ihrem Standpunkt ab.«
    »Was ist los, Mr. Horton? Sie sehen aus, als wären Sie einem Geist begegnet.«
    Pragnell hatte recht. Ich hatte einen Geist gesehen. Und ich konnte ihn immer noch sehen, wie er über Lightfoots Schulter schwebte. Zwischen Margate am 19. August und Bournemouth am 24. hatte Lightfoot noch ein anderes Engagement gehabt: in Dorking. Er war dort gewesen, um eine andere Rolle zu spielen - die eines toten Mannes. Wie Charnwood ihn ausgetrickst hatte, wusste ich nicht. Wie er ihn in den Tod gelockt hatte, konnte ich nicht einmal vermuten. Aber dass es Lightfoots Leiche war, daran zweifelte ich nicht. Dieselbe Größe und Figur. Dasselbe Alter und dieselbe Erscheinung. Und alle offensichtlichen Unterschiede waren weggeschmettert worden: Lightfoots Körper in Charnwoods Kleidung, sein Gesicht eine Maske des Grauens. Das hatte gereicht, um Leute wie mich zu täuschen. Und es reichte auch, um die Polizei zu täuschen, den Pathologen und den Leichenbestatter. Denn keiner von ihnen war Charnwood oder Lightfoot jemals

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