Geschlossene Gesellschaft
abzulenken?«
»Wahrscheinlich. Wo sie auch sind, sie sind sehr gut versteckt.«
»Wie der Mann selbst.«
»Ja. Aber, Guy...« Sie griff über den Tisch und berührte kurz meine Hand. Es war eine hauchzarte Berührung, aber dennoch erzeugte sie dieses elektrisierende Prickeln mit der Erinnerung, was für Freuden diese Finger bereitet - und empfangen hatten. »Er wird antworten. Daran gibt es keinen Zweifel für mich.«
»Und in der Zwischenzeit?«
»Warten wir. So gut wir können.«
Das Wochenende verstrich nur langsam. Wir begleiteten einander auf ziellosen Spaziergängen durch die neblige Stadt, entfernten uns dabei aber nie zu weit vom Shelbourne für den Fall, dass eine Nachricht eintraf. Wir aßen zusammen im Hotel-Restaurant und hielten den Schein von Lockerheit und Harmonie aufrecht, während insgeheim unsere eigenen Gedanken ... Aber unsere Beziehung war auf so vielen Ebenen unehrlich, dass wir unmöglich genau wissen konnten, was wir uns gegenseitig bedeuteten: platonische Freunde, atemlose Liebende, erbitterte Feinde, leidenschaftslose Bundesgenossen - alle diese Rollen hatten wir bereits gespielt und waren in keiner ganz aufgegangen. Was anderes blieb uns, als zu erkennen, dass wir zwei Heuchler waren?
Und doch waren wir in dem Versuch vereint, die Concentric Alliance zu stürzen. Als ich Diana alles erzählte, was ich von Duggan erfahren hatte, und die Beweise aufführte, sah ich in ihren Augen die Gewissheit wachsen, dass die Taten ihres Vaters unverzeihlich waren. Das Shelbourne stand an der Nordseite eines breiten öffentlichen Parks... Dort, zwischen fallenden Blättern, lachenden Familien und den Enten, die um Brot bettelten, wandte sich Diana am Sonntagabend bei Anbruch der Dämmerung an mich. »Er hat uns beide ruiniert, nicht wahr, Guy?« fragte sie ohne Einleitung. »Wäre der Krieg nicht gewesen, wären wir vielleicht beide liebenswerte Menschen geworden. Doch was sind wir statt dessen?« Sie lächelte resigniert. »Ein Schwindler und ein Miststück.«
»So würde ich das nicht unbedingt ausdrücken«, protestierte ich.
»Aber es stimmt doch.«
»Vielleicht. Der Krieg hat möglicherweise ebenso viele Menschen verändert, wie er getötet hat. Zu entdecken, dass ein einzelner Mann möglicherweise dafür verantwortlich war...«
»Und dieser Mann ist mein Vater.«
»Ja. Das ist er.«
»Als Mama starb, war ich zwölf.« Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. »Ich machte die ganze Welt dafür verantwortlich, nicht nur die Deutschen. Und ich beschloss, dass die Welt dafür zahlen sollte. Indem ich von jedem so viel nahm, wie ich konnte, und nichts zurückgab. Indem ich anderen Menschen das Herz brach, wie auch meins einmal gebrochen worden war. Indem ich bewies, dass mir nie wieder an jemandem auch nur das Geringste lag. Außer...« Sie brach ab, als sie spürte, wie dicht sie der Wahrheit über sich selbst gekommen war, jedenfalls einem Teil davon. »Außer an meinem Vater«, fuhr sie fort. »Bei ihm suchte ich Schutz und Liebe. Und er gab sie mir - uneingeschränkt. Aber ihm kann die Ironie nicht entgangen sein, nicht wahr? Genauso wenig wie mir jetzt. Ich habe allen die Schuld gegeben. Nur dem nicht, der wirklich verantwortlich war.« »Was wirst du tun, wenn du ihn triffst?«
»Was ich dir gesagt habe.«
»Ich meine... wegen deiner Mutter.«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte sie und schaute mich offen an. »Wirklich nicht.«
»Würde es dir helfen, wenn ich mitkäme?«
»Nein. Er könnte uns zusammen sehen, bevor er sich uns zeigt. Und dann würde er sich niemals zeigen. Abgesehen davon ...«
»Ja?«
»Das ist eine Sache zwischen meinem Vater und mir.« Sie reckte trotzig ihr Kinn vor. »Zwischen uns und niemandem sonst.«
Der Montag kam, aber Charnwood meldete sich nicht. »Lass sie nicht aus den Augen, alter Knabe. Beobachte sie wie ein Falke.« Das mache ich ja, Max. Aber ihre Ruhe und auch ihre Worte im Park haben einen Verdacht in meinen Kopf gesät.
Sie hatte ein Telefon in ihrem Zimmer, und es gab mehr als genug Pagen, die ihr zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Brief aufs Zimmer gebracht haben konnten. Woher sollte ich wissen, ob Charnwood sich nicht schon längst mit ihr in Verbindung gesetzt hatte? Und woher sollte ich wissen, was sie wirklich vorhatte, wenn sie sich trafen? »Das ist eine Sache zwischen uns und niemandem sonst«, hatte sie gesagt. Doch was hatte sie gemeint?
Ich musste es herausfinden. Es stand zu viel auf dem Spiel, um es dem Zufall zu
Weitere Kostenlose Bücher